1. Advent, 30. Nov. 1958               Wolfenhausen/Nellingsheim

 

6,1-4 Macht hoch die Tür (170)

1, 1-5 Nun komm der Heiden Heiland

11, 4- 7 Gott sei Dank

6,5 Macht hoch die Tür

 

Matth. 21, 1-9

Jes. 63, 15-64,4

 

Liebe Gemeinde!

Ist es uns nicht ganz aus dem Herzen gesprochen, jenes Seufzen des Propheten „Ach dass du den Himmel zerrissest und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen, (wie heißes Wasser im Feuer versiedet), dass dein Name kund würde unter deinen Feinden, und die Heiden vor dir zittern müssten, durch die Wunder, die du tust, deren man sich nicht versieht; dass du herabführest und die Berge vor dir zerflössen!“

Wo bleibt Gottes Macht und Herrlichkeit, wenn seine Feinde so sicher auftreten können in unserer Welt? Wenn sie mit kalter Stirn Gott leugnen können, ohne das ein Blitz vom Himmel fährt und sie mitsamt ihrem lästerlichen Gerede vernichtet! Wenn sie allenthalben so tun, als gebe es Gottes Gebote nicht, wenn sie versuchen, der Welt ihre eigenen Gebote und Gesetze aufzuzwingen.

Denn wohl keiner von uns wird die Vermessenheit besitzen, zu behaupten, es stünde wohl um unsere Welt, und es werde sich mit ihr vollends zum Besseren wenden, wenn man ihr nur genügend Zeit lasse!

Nein! Es sieht wahrhaftig nicht gut aus in dieser Welt. Und das hat sich seit der Zeit des Propheten vor 2 ½ tausend Jahren gewiss nicht geändert. Und eben darum verstehen wir jenen tiefen Seufzer des Propheten so gut, den er in die Worte gekleidet hat: „Ach dass du den Himmel zerrissest und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen.“

Aber seht - mit der Klage darüber, dass das Böse in unserer Welt scheinbar so ungehemmt triumphiert, mit der Klage darüber, dass doch so wenig sichtbar ist, von Gottes Macht, mit der Klage darüber, dass die Welt tatsächlich fast so aussieht, als gäbe es Gott nicht: Mit dieser Klage ist noch gar nichts getan. Und es genügt wahrhaftig nicht, wenn wir darum mit einstimmen in den Seufzer des Propheten: „Ach dass du den Himmel zerrissest und führest herab, das die Berge vor dir zerflössen, … dass dein Name kund würde unter deinen Feinden, und die Heiden vor dir zittern müssten, durch die Wunder, die du tust….“

Vielmehr haben wir ihm nun zunächst einmal zu folgen in dem, was er den Grund dafür nennt, dass Gottes Macht so sehr verborgen ist. Dass man gar nichts sieht von dieser Macht. Dass es tatsächlich so aussieht, wie wenn wir alle miteinander in einer Welt lebten, die nicht von Gottes Macht beherrscht wird. Warum sieht es denn so übel aus in unserer Welt, dass wir zu dem Seufzer kommen: „Ach, dass du den Himmel zerrissest und führest herab!“ Seht, der Prophet, der lässt sich nicht zu allgemeinen Klagen über die Bosheit der Welt und über die Schlechtigkeit der Menschen bewegen. Sondern er nennt einen recht genauen und speziellen Grund dafür, warum es denn in dieser Welt so übel aussieht:

„Warum lässest du uns, Herr, irren von deinen Wegen, und unser Herz verstocken, dass wir dich nicht fürchten? Kehre wieder um deiner Knechte willen, um der Stämme willen deines Erbteils.“

Das sieht nun doch schon recht anders aus, als jene allgemeinen Klagen, die wir so gerne erheben, als jene Anklagen, die sich gegen andere richten, gegen andere und deren Bosheit. Dazu sind wir gerne bereit, uns gegen andere zu richten mit unserer Klage und mit unserer Anklage. Aber sind wir auch bereit, jene Frage des Propheten aus vollem Herzen mitzusprechen: „Warum lässest du uns, Herr irren von deinen Wegen, und unser Herz verstocken, dass wir dich nicht fürchten?“

Nicht wahr, damit sind wir schnell bei der Hand, zu fragen: Gott, warum lässt du die gottlosen Bolschewisten zu solcher Macht emporsteigen, dass sie die ganze übrige Menschheit mit ihrer Bosheit und mit ihrem Übermut in Schrecken setzen? Gott, warum lässt du es zu, dass unsere Brüder und Schwestern in Mittel-Deutschland von einem so üblen Menschen wie diesem Ulbricht in Angst und Knechtschaft gehalten werden! Zu solchen Fragen finden wir uns gerne bereit. Wir fragen: Warum Gott, lässt du es zu, dass einige wenige, die die wirtschaftliche und politische Macht in der Hand haben, Tag für Tag mit den Feuer des Krieges spielen, obwohl dich die Völker auf der ganzen Welt keine größere Sehnsucht kennen, als dass endlich einmal ein Frieden komme, der diesen Namen auch wirklich verdient! Warum Gott, lässt du es zu, dass in aller Welt mit ungeheurer Anstrengung Berge von schrecklichen Vernichtungswaffen angehäuft werden, wo doch mit diesen Anstrengungen viel eher die Not und das Elend der ungezählten armen Menschen auf dieser Welt gelindert würde! Warum lässt du es zu, das die, welche die Macht in Händen haben, das Vertrauen enttäuschen, das wir in sie setzten, und nur auf ihre eigenen Bereicherung und auf ihren eigenen Vorteil aus sind.

Seht, zu solchen Fragen sind wir gerne bereit. Vielleicht fragen wir auch: Warum Gott, hast du mich mit einem so bösen und streitsüchtigen Menschen zusammengespannt, der mir meine Tage vergält, der mir meine Ruhe nimmt, mit dem es einfach nicht auszukommen ist. So fragen wir gerne, und hätten es recht lieb, wenn Gott es diesen allen miteinander, die uns Not machen, einmal richtig zeigen würde, dass er der Herr ist, der alle Bosheit straft! Seien wir ehrlich: Ist nicht das der eigentliche Grund, warum wir so gerne bereit sind, einzustimmen in den tiefen Seufzer des Propheten: „Ach, dass du den Himmel zerrissest und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen, dass dein Name kund würde unter deinen Feinden, und die Heiden vor dir zittern müssten!“ Ist es nicht dieser Wunsch: Zeig es ihnen doch einmal, Gott! Lass sie einmal spüren, was ihre Bosheit wert ist. Lass mich triumphieren über die, die mir Böses antun!

Aber seht: Der Prophet, der fragt ja ganz anders. Der fragt ja: Warum lässest du uns, Herr, irren von deinen Wegen, und unser Herz verstocken, dass wir dich nicht fürchten? Sind wir auch zu einem solchem Fragen bereit, liebe Freunde? Sind wir dazu bereit, nach unserer eigenen Sünde zu fragen? Sind wir dazu bereit, Gott zu fragen: Warum hast du nur solch ein böses, ungehorsames Herz gegeben, das dich nicht fürchten will? Warum muss ich mich denn immer wieder gegen dein heiliges Gebot versündigen, obwohl ich’s ganz gut weiß, dass das nicht recht ist? Warum kann ich denn nicht im Frieden leben mit meinen Ehegatten, oder mit meinen Nachbarn? Warum muss ich denn so sehr an Besitz und Geld hängen, dass ich darüber vergesse, was meinem Leben wirklich Not tut? Warum, Gott, erträgst du meine Bosheit?

Seht, liebe Freunde! Erst dann, wenn wir es gelernt haben, so zu fragen, erst dann werden wir merken, welch ungeheures Unterfangen es ist, den Herrn um sein Kommen zu bitten! Vielleicht, sind an eurer Tür such schon einmal einige Sektenapostel aufgetaucht, die davon geredet haben: Bald, bald ist es so weit, dass Gott erscheinen wird, um seine Feinde zu richten. Bald wird er wiederkommen, und wird sie alle miteinander umbringen, die ihm ungehorsam sind! Ja – wer von uns darf denn seiner selbst so sicher sein, dass er sagen kann: Mir wird das nichts ausmachen! Ich gehöre nicht zu denen, die dann erschrecken müssen, ich gehöre nicht zu denen, die sich dann wie Würmer vor Gottes Majestät im Staube winden müssen!

Bewahre uns doch Gott alle miteinander vor solcher frevelhaften Sicherheit! Es ist eine ungeheuerliche Sache, wenn Gott kommt. Das müssen wir wissen! Das müssen wir gerade heute wissen, wo wir das Adventsfest feiern, dass Fest des göttlichen Kommens! Wenn Gott kommt, so heißt das: Der Sünder muss sterben. So heißt das: Gottes Herrlichkeit verzehrt den, der ihm widerstrebt! Wo soll ich bleiben vor deinem Angesicht? Das ist die Frage, die wir sachgemäß stellen, wenn wir des göttlichen Kommens gedenken!

Aber freilich: Gerade wenn wir so über der ungeheuren, über der erschreckenden Botschaft des Adventsfests in Unruhe geraten, in Unruhe geraten über unsere Sünde, über unsere Bosheit, über unsere mangelnde Gottesfurcht – gerade dann werden wir den Trost begreifen können, den uns der Prophet in seinen Worten zu sagen weiß: „ Bist du doch unser Vater; denn Abraham weiß von uns nicht, und Israel kennt uns nicht; du aber Herr, bist unser Vater und unser Erlöser; von alters her ist das dein Name!“

Seht – das ist nun etwas ganz, ganz anderes, wenn wir darum flehen, dass Gott als unser Vater und Erlöser zu uns kommen möge! Wenn wir nicht darum rufen, dass Gott komme, um an seinen Feinden Rache zu nehmen, und dabei in frevelhafter Sicherheit meinen, wir würden ja doch wohl von dieser Rache nicht betroffen werden. Sondern wenn wir beten. Kehre wieder um deiner Knechte willen!“ Das gilt es zu begreifen, was solches Kommen Gottes heißt. Dies, dass er nicht als verzehrendes Feuer kommt, um sie zu vernichten, die ihm widerstreben, sondern dass er kommt als unser Vater und Erlöser. Das gilt es zu begreifen, was es heißt, dass wir Advent, das Kommen Gottes feiern als das Fest, in dem wir des Kommens Jesu von Nazareth gedenken!

Seht – das heißt nun ganz gewiss nicht dies, dass es mit Gottes Kommen doch nicht so tödlich ernst gewesen sei, wie wir das einen Augenblick geglaubt haben. Das es nicht so schlimm sei mit dem Zittern und Erbeben das seine Feinde packt, wenn er kommt! Dass dieses Kommen nicht den Tod des Sünders bedeute!

Nein! Dieser ganze erschreckende, tödliche Ernst des Gerichtes, das mit Gottes Kommen verbunden ist, den sehen wir vor uns in Jesus von Nazareth! Aber seht – das ist nun gerade das wunderbare, das tröstliche Geheimnis des göttlichen Kommens, dass er, Gott selber, an unsere Stelle getreten ist. Wohl: Sein Kommen, das heißt Gericht über die Sünde, hartes, unerbittliches, schreckliches Gericht! Aber Gott, der als unser Erlöser von alters her gekommen ist – er hat dies Gericht auf sich genommen. Er, unser Erlöser, er hat für uns gezittert, dort im Garten Gethsemane. Er ist in blutigen Schweiß ausgebrochen, als er die Last unserer Sünde vor Gottes Angesicht trug. Er hat den bitteren Tod in der tiefsten Gottverlassenheit erlitten – um unsretwillen.

Das heißt Advent, liebe Freunde! Das heißt Kommen Gottes. Das heißt es, dass er seinen Name wahr gemacht hat, bei dem ihn der Prophet anruft. „Du aber, Herr, bist unser Vater und Erlöser; von alters her ist das dein Name!“

Dass wir das doch begriffen, heute an diesem Adventsfest, dieses tiefste und tröstlichste Geheimnis des göttlichen Kommens! Dann wären wir frei von jenem selbstsicheren und rechthaberischen Fragen, das so leicht unser Herz erfüllt und über unsere Lippen geht, von diesem Fragen, warum wir denn noch so viel Bosheit und Ungerechtigkeit in dieser Welt sehen. Von dem Fragen, warum denn Gottes Feinde immer noch leben und ihr Wesen treiben dürfen! Wir würden erkennen, dass Gott diese Frage nach der Sünde der Menschen gelöst und beiseite geschafft hat, durch das Gericht, das unser Heuland und Erlöser Jesus Christus auf sich genommen und erlitten hat – damit wir leben dürfen – wir, die Ungehorsamen, die Sünder, die Feinde Gottes!

Darum lasst uns beten, dass er mit seinem Wort in unser Herz komme, damit wir uns seines gnädigen Kommens getrösten in dieser bösen Welt, bis er uns einst heimholt in seine himmlische Herrlichkeit. Amen