Rogate, 23.5.1976 Erlangen, Neustadt


Intr 2

79,1-6 Gelobt sei Gott

100,5 Jauchz, Erd und Himmel

371,1,2,7-9,13-15 Geh aus mein Herz

Vers. 58


Joh 16,23b-27

Kol.4, 2-6


Herr Gott, himmlischer Vater,

der du uns in Jesus Christus entgegen kommst, um uns deine Wahrheit zu zeigen, wir bitten dich, gib uns guten Mut, durch ihn uns an dich zu wenden, damit wir deiner Nähe gewahr werden und dir danken, dass du unser Gott bist, durch unsern Herrn Jesus Christus …


Herr, unser Gott,

wo du uns verborgen bist und wir deine Güte nicht wahrnehmen können, da dürfen wir dir durch Jesus Christus nahen. Dafür danken wir dir. Wir bitten dich für die Menschen, die sich ängsten, weil sie deine Herrlichkeit nicht wahrnehmen und darum durch die Unheimlichkeit der Welt bedrängt sind – lass ihnen deine Nähe aufscheinen und stärke sie. Wir bitten dich für die, die trauern, weil sie etwas verloren haben, das ihr Herz reich und glücklich machte, tröste sie, indem du ihnen von deinem Reichtum mitteilst, was sie brauchen. Wir bitten dich für die, die nicht glauben können, weil sie nicht gelernt haben, in Jesus Christus die Überwindung aller Not und des Todes zu erkennen, öffne ihnen das Herz, damit sie wahrnehmen können, dass du der Herr bist und in Ewigkeit bleiben wirst. Wir hoffen auf dich. Erhöre uns um Jesu Christi willen. Amen.



Liebe Gemeinde,

wir haben das Spielchen schon oft gesehen, vielleicht haben wir es auch selbst schon mitgespielt, als Kinder wie als Eltern:

Da bekommt ein Kind sein Geschenk, die Scheibe Wurst im Metzgerladen, ein Bonbon, ein Stück Schokolade. „Und wie sagst du jetzt?“ Wir wissen: Da kann das Spielchen dann zu einem kleinen Drama geraten, wenn das Kind nicht brav ist, wenn es das Spiel der Erwachsenen nicht mitspielen will, wenn es das obligate „Dankeschön“ verweigert.

Rogate – betet, die Aufforderung, die der Name unseres Sonntags darstellt, und die hier in unserem Textabschnitt jedenfalls zunächst als Aufforderung zum Dank spezifiziert wird – kann nicht bedeuten, dass wir jenes merkwürdige Spielchen nun weiter spielen nur auf einer anderen Ebene: Jetzt ist es der Apostel, der zum Dank auffordert und Gott, ist der, dem das Dankeschön gelten soll und wir sollen es sagen; und wären dann die bösen, undankbaren Kinder, wenn wir uns weigerten mitzuspielen. Gewiss: Das ist jetzt eine Karikatur, die verzerrt und übertreibt. So meinen wir das doch nicht? Immerhin, dass wir mit unseren Kindern jenes unwürdige Spielchen einüben, und dass viele daran anscheinend ihren Gefallen finden, das zeigt: so weit ab ist jenes Verstehen nun doch nicht, dass wir es nicht ausdrücklich zu nennen und abzuweisen hätten. Vielleicht setzt sich, ein Stück weit wenigstens, fest, was wir als Kinder eingeübt haben – und es wäre böse, wenn wir von Gott auch nur entfernt die Vorstellung eines großen Mannes hätten, der von uns ein Dankeschön erwartet, weil wir ein Bonbon bekommen haben, Glück gehabt haben, Erfolg, ein Gelingen in unserm Leben.

Es ist in Wahrheit doch wohl anders dazu erinnere ich an die Präfation, mit der unsere Abendmahlsfeier beginnt: Wahrhaft würdig und recht, billig und heilsam ist`s, dass wir dir, heiliger Herr, allmächtiger Vater, ewiger Gott allezeit und allenthalben Dank sagen durch Christum unseren Herren, den du der Welt zum Heile gesandt hast, auf dass wir durch seinen Tod Vergebung der Sünden und durch sein Auferstehen das Leben haben. Das ist hier gemeint mit der Aufforderung zur Danksagung, dieser Gabe Gottes zu gedenken. Und wenn der Apostel daran anschließend zur Fürbitte für ihn selbst auffordert, dann wieder im Blick auf diese Gabe Gottes: „Betet zugleich auch für uns, auf dass Gott uns eine Tür für das Wort auftun, zusagen das Geheimnis Christi, um des willen ich auch gebunden bin, auf dass ich es offenbar mache, wie es mir zu sagen gebührt.“ Ich denke: Nicht die Aufforderung – mag sie nun begründet werden, wie sie wolle, ist von entscheidendem Gewicht – Aufforderung zum Gebet, Aufforderung, Gott zu danken. Von entscheidendem Gewicht ist, dass dem Wort die Tür aufgeht, auch und gerade bei uns, dass wir das Geheimnis Christi verstehen, wenigstens anfänglich, wenigstens ein Stück weit. Ich kann dieses Geheimnis umschreiben mit der alten dogmatischen Formel, dass hier wahre Gottheit und wahre Menschheit verbunden sind in der Einheit der Person.

Aber das mag dem wenig helfen, der nicht in das alte Denken der alten Kirche eingeübt ist, das diese Formel geprägt hat. Darum will ich so umschreiben: Die Welt ist dem Menschen gemäß – wo der Mensch Gott gemäß ist –und darum Christus gemäß erscheint.

1.

Die Welt dem Menschen gemäß – damit wollen wir anfangen, obwohl schon das alles andere ist als selbstverständlich. Aber nur so können wir ja Gott erfassen – in seiner Wirksamkeit, dort, wo er uns in der Welt begegnet (Gott kann man nicht sehen – wer ihn sehen wollte, der müsste sterben). Als ich bei der Vorbereitung für diese Predigt saß, bin ich einmal ans Fenster getreten, in dem Garten hinaus zu sehen, in Sonne und Grün. Da saß auf einem Polster aus rotem Stoff ein Schwalbenschwanz, in seiner eleganten Gestalt, mit seiner gelb-schwarzen Zeichnung. Das war schön – und ich hab dieses Schöne genossen, den Schmetterling und die Blüten, das Grün und die Sonne und die Wärme. Vielleicht, dass wir eine solche fast alltägliche Erfahrung gering schätzen, eben weil sie jeder machen kann, der die Augen offen hält, und bei dem durch seine Erziehung ein Sinn für das Schöne geweckt worden ist. Für wen ist dieses Schöne da? Ob es der Schmetterling empfindet, oder die Blume – ob der singende Vogel? Ich weiß es nicht. Ich weiß aber, dass wir Menschen solche Schönheit wahrnehmen können – und mit ihr, in ihr die Menschengemäßheit der Welt.

Nun bin ich der Letzte, der eine solche Erfahrung verallgemeinern und daraus einen Beweis für Gottesexistenz machen wollte. Es gibt andere Bilder, Wahrnehmungen, Erfahrungen, die nicht so leicht auf diesen Nenner zu bringen sind – die kämpfenden Parteien in Beirut, oder die Erdbebentoten im Friaul, die wir jeden Tag ins Haus geliefert bekommen. Da wird ja nicht bloß die Menschlichkeit des Menschen zur Frage – sondern auch die Angemessenheit der Welt für dieses Menschsein. Ich brauchte das nicht weiter auszuführen – wir sind sowieso rasch dabei, zu kritisieren und zu problematisieren. Aber solche Erfahrung kann die andere nicht aufheben.

Menschengemäßheit der Welt – die zum Beispiel dort aufscheinen kann, wo wir Schönheit wahrnehmen. (Auch dort, wo wir Güte wahrnehmen, Brauchbarkeit für unsere Zwecke, oder die Ordnung, die wir mit unserem Denken erfassen). Menschengemäßheit dieser Welt scheint auf in solcher Erfahrung – und wir sagen dann: hier ist Gott nahe.

2.

Das ist freilich eine Folgerung, die nicht nur schwierig erscheint angesichts einer Wirklichkeit, die zwar hier menschengemäß erscheint, die aber dort feindlich, unheimlich, fremd aussieht, bedrohlich und tödlich für den Menschen, der ihr ausgeliefert ist. Wir sagen, wo solche Menschengemäßheit der Welt aufscheint: hier ist Gott – weil wir ihm kennen lernten und weiterhin fassen, wo wir selbst Gott gemäß sind. Gewiss ist das ein schweres Wort – wir selbst Gott gemäß. Es umschreibt, was wir mit dem geläufigen Ausdruck meinen: Glauben. Aber so geläufig dieser Ausdruck sein mag – er ist ja noch lang nicht leicht verstanden. Gott gemäß – das hieße nun gerade so, dass Menschsein die ihm gemäß erscheinende Welt, wie die ihm feindlich erscheinende Welt nicht als gegeben und unabänderlich hinnimmt – sondern sie durchdringt auf Gott hin, der Grund, Herr und Ziel dieser Welt ist und gerade so von uns wahrgenommen werden will.

Wir nehmen dies wahr – was ganz gewiss nicht selbstverständlich ist, weil wir das Geheimnis Christi kennen: Menschsein, das Gottes Wahrheit offenbar machte, und darum endgültig zeigte, was wir nur andeutend wahrnehmen können. Was gegen die Menschengemäßheit der Welt sprechen kann – das geht vorbei. Und wenn wir im Tod dieses Feindliche, Bedrohliche, Unheimliche zusammengefasst sehen – so erfassen wir in der Botschaft von der Auferweckung des Gekreuzigten die Wahrheit Gottes, dessen, der Wirklichkeit bestimmt. Menschengemäßheit der Welt setzt sich durch, weil Gott Herr dieser Welt ist und des Menschen Gott. Das ist das 2. Stück jenes Geheimnisses Jesu Christi, das wir erfassen, wo unser Menschsein Gott gemäß ist.

3.

Nun kommen wir aber damit nicht zum Ziel, wenn nicht zugleich dies Beieinander von Gott und Mensch, von menschgemäßer Welt und gottgemäßen Menschsein, erscheint. Darauf zielen ja die Ermahnungen unseres Textes; dass das Geheimnis Jesu Christi offenbar wird. Offenbar sicher im Wort, offenbar sicher auch in der Gemeinde, die dankbar dieses Geheimnis Christi feiert. Aber es soll auch heraus – „wandelt weise gegen die, die draußen sind, und kaufet die Zeit aus: Eure Rede sei allezeit lieblich und mit Salz gewürzt, dass ihr wisset, wie ihr einem jeglichen antworten sollt.“ Da ist dann das offenkundige christusgemäße Menschsein.

Ich will nun nicht diese Ermahnung weitergeben. 16jährig, Frühjahr 1945 – kalt, Schnee, auf dem … , ein halbes Dutzend Hitlerjungen (einer hatte die Adresse gewusst)!

Aufgaben; nicht mehr lukrativ, Totengräber. „Sie haben es doch auch nicht nötig.“ -„aber einer muss es doch machen, und das bin schon immer ich gewesen.“

Aufforderung zum Dank? Braucht es das? Ich habe viel zu danken – für das Geheimnis Christi, den Grund meines Lebens – für die Welt, für Gott, für die Zeugen.


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