15. April 1962              Wolfenhausen/Nellingsheim

 

Palmsonntag

71, 1-5       Herr stärke mich (108)

66, 1-4       Du großer Schmerzensmann (56)

96, 4.5       Jesus Christus herrscht (7)

59, 1-4       Wir danken dir (261)

 

Joh. 12, 12-19

Phil 2, 1-11

 

Liebe Gemeinde!

 

„Alle Zungen sollen bekennen, dass Jesus Christus der Herr sei“ – aber wenn sie es nicht tun? Alle Zungen bekennen, dass Jesus Christus der Herr ist! Wirklich? Und derweilen geht es in der Welt so zu, wie wir das ja recht gut wissen. An der Mauer in Berlin werden sie erschossen, weil sie es ein wenig besser haben wollen – weil sie Freiheit und Menschenwürde genießen wollen, und nicht in dem Zuchthaus Ulbrichts sitzen bleiben wollen. – Und Jesus Christus der Herr!

In Algerien jagen sie einander gegenseitig in die Luft, weil keiner dem anderen traut und sie Angst voreinander haben. –Und Jesus Christus der Herr!

In Lima hungern sie zu Millionen, weil das Prinzip mehr gilt als der lebendige Mensch und weil die Natur sich dagegen rächt, dass sie nach den Prinzipien einer Ideologie behandelt wird, anstatt nach alter Erfahrung und rechtem Brauch. – Und Jesus Christus der Herr! In Genf reden sie über Abrüstung, und derweil bereiten sich die Amerikaner zu neuen Atomversuchen vor, die ausgerechnet am Gründonnerstag beginnen sollen, wenn alles planmäßig verläuft. – Und Jesus Christus der Herr! Soll ich weitermachen in dieser Aufzählung? Soll ich anfangen von dem, was uns wahrscheinlich noch viel näher liegt als diese Ereignisse hin und her in der Welt, die ich bisher nannte. Sorge, durchzukommen bei dem unbarmherzeigen Run nach immer mehr Verdienst! Jeder läuft ja mit, und jeder muss mitlaufen, will er den Trieb halten und das bestehen, was auf uns zukommt. Und Jesus Christus der Herr. Streit zwischen den Alten und den Jungen, ob die Erfahrung mehr gilt, oder die größere Beweglichkeit, und jeder will Recht behalten – und hat vielleicht sogar auf seine Weise recht. Aber es geht das Miteinaderleben dabei verloren, auf das es doch so ankommt! Die Zeit ist eben danach, und wer nicht mitkommt in dieser Zeit, der wird zur Seite gestoßen und kann sehen, so er bleibt! – Und Jesus Christus der Herr!

Passt das eigentlich dazu – dieses und Jesus Christus der Herr? Passt das zu den Dingen, welche  ich aufgezählt habe- passt das zu dem, wie es in unserer Welt aussieht? Natürlich können wir sagen, es sei eben die Zeit dieser Herrschaft Jesu noch nicht gekommen. Er warte eben noch darauf, bis es soweit sei, dies, was der Apostel da schreibt, das werde in Wirklichkeit erst in der Zukunft geschehen, dann, wenn Christus zum Gericht wiederkommen werde in Herrlichkeit – nach den Worten unseres Glaubensbekenntnisses. Aber wenn wir meinen, dies beides, was da so hart und scheinbar unvereinbar nebeneinander steht, so zusammenbringen zu können, dass wir s zeitlich hintereinander ordnen, dann treffen wir den Sinn der Worte des Apostels Paulus gerade nicht. Denn das, wovon der redet, ist schon geschehen. Gott hat Jesus erhöht, Gott hat ihm den Namen gegeben, der über alle Name ist – er ist der Herr!

 

Jawohl – er ist der Herr! Jesus ist der Herr dieser Welt, in der es so aussieht und zugeht, wie wir das wahrnehmen. Freilich – das ist eine Behauptung, dies, dass Jesus der Herr dieser Welt ist und eine Behauptung, welche unserer Erfahrung geradewegs entgegenzulaufen scheint. Denn einmal: Dürfte es in dieser Welt so aussehen, wie es aussieht – wenn Jesus wirklich ihr Herr wäre? Düften Dinge passieren, von denen wir wissen, dass sie grausam und schrecklich und gemein und unmenschlich sind – dürfte er sie geschehen lassen, wenn dies, dass Jesu Christus der Herr ist, mehr ist als eine bloße Behauptung! Wenn er der Herr wäre – müsste man das nicht sehen? Das ist die eine Frage, welche wir jener Behauptung entgegenhalten, dass er der Herr sei. Und die andere Frage ist die: Wie sollte das überhaupt zugehen, dass ein Mensch, der früher einmal vor langer Zeit lebte, der gegenwärtige Herr dieser Welt ist; wohl, er kann ein Vorbild sein, Jesus, auch uns heute noch. Wohl, er kann weiter wirken durch die Kraft seiner Worte und seines Beispieles, welche uns in den Evangelien begegnet. Das gewiss! Aber: Jesus Christus der Herr! Diese Behauptung will ja gewiss mehr sagen, als dass er Vorbild sei, ein beispielhafter Mensch, welchen wir in unserem Verhalten nachahmen sollen.

Aber wie soll das sein?

Seht- wenn wir dieser Behauptung auf den Grund gehen wollen, dass Jesu Christus der Herr sei - dann müssen wir uns in sein Bild vertiefen, in sein Bild in der Einzigartigkeit seines Lebens. Er war Gott, so heißt es da. Aber Gott, der er war, wollte er nicht bleiben – um unsretwillen. Seht - Gott kommt zur Hilfe, Gott kommt zur Erlösung, Gott kommt zur Herrschaft in seiner Welt. Nicht so, wie er das auch könnte: Vernichtend, was sich ihm nicht fügt. Nein! Gott gibt die Gewalt auf, welche er in seiner Gottheit hat. „Ob er wohl in göttlicher Gewalt war, nahm er es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward gleich wie ein anderer Mensch und an Gebärden als ein Mensch erfunden.“ So ist Gott uns nahe gekommen, als Mensch. Knechtsgestalt – so kennzeichnet der Apostel sein Wesen, das er annahm, unser Wesen – Das heißt: Unterworfen der Zeit, unterworfen den Verhältnissen, unterworfen dem, was man tut, wie man handelt – unterworfen dem Gesetz unseres menschlichen Miteinanderlebens, diesem Gesetz, das wir spüren, das uns gewiss oft einengt, das uns gewiss oft lästig ist, aber das wir Menschen doch brauchen, das wir notwendig brauchen, weil wir ohne dieses Gesetz nicht leben können. Dem war er unterworfen, Gott selber war dem unterworfen, als er als Jesus zu uns kam – das heißt es, wenn hier von Knechtgestalt die Rede ist. Aber damit wäre er ja nur untergeordnet in unsere menschlichen Reihen, er Jesus, der Einzigartige, der Herr – Gott selbst, als Mensch unter uns getreten. Nein – sein Weg ging ja weiter: „Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz.“ Seht: Knecht war er, unterworfen wie wir der Zeit, unterworfen wie wir den Verhältnissen. Unterworfen wie wir den Gesetzen des Miteinader. Wie wir war er. Aber da ist ein Unterschied. Er war gehorsam. In dem allen Gott gehorsam. Er hat sich jenen Mächten nicht gefügt. Er hat sich`s nicht gefallen lassen, sich hinweg zu trösten über die Härte der Zeit mit ein paar Redensarten, die darauf hinauslaufen, dass man sich eben anpassen müsse, dass es nicht anders gehe und nun einmal nicht zu machen sei. Nein! Er war gehorsam. Nicht diesen Mächten, sondern im Gesetz der Liebe. War gehorsam nicht jener angeblichen harten Realität, welcher man sich scheinbar nicht entziehen kann, sondern war gehorsam der einfachen und klaren Menschlichkeit, die nichts anderes kennt, als das, was wirklich nötig ist. Und das sieht, wir wissen`s wohl, oft ganz anders aus als das, was anscheinend eine unübersehbare und unumgängliche Notwendigkeit ist. Er war diesen Notwendigkeiten nicht gehorsam, sondern dem, das nötig ist. Und sie haben sich an ihm gerächt. Da er sich nicht in die Zeit schicken wollte, wandte sich diese Zeit gegen ihn, und er wurde zu Tode gebracht!

Aber gerade darin blieb er gehorsam. Darum hat ihn auch Gott erhöht.“ Darum ist Jesus der Herr. Darum gilt dieses: Jesus Christus der Herr! Das gilt, weil er nun unser Herr ist. Weil wir dem, was uns von ihm abbringen will, seine Herrschaft entgegenhalten können. Nicht die Mächte sind Herren, sondern er. Nicht die Notwendigkeit der Verhältnisse!

 

Nicht denen können, sollen, dürfen wir uns fügen, sondern ihn! Seinem Gehorsam soll unser Gehorsam folgen. Nicht weil er gleich wäre wie wir, und wir dasselbe zu tun vermöchten wie er. Aber sein Sinn wird unser Sinn. Dazu, indem wir`s tun, erkennen wir seine Herrschaft.

Amen