8. Dez. 1957      Wolfenhausen/Nellingsheim         2. Advent (Investitur)

 

8, 1-3         Auf, auf, ihr Reichsgen.

11, 1-4       Gott sei Dank

6,5             Komm, o mein Heiland

8,9             Auf, auf

 

Chor: Heilig

1) Gemeinde: 11, 1-4 Gott sei Dank

2) Chor: In dir ist Freude

3) Gemeinde: Heiliger Geist 103,1-3

4) Gemeinde: 8,8.9 Auf, auf, ihr Reichsgen.

 

Psalm 150

Röm 15, 1-13

 

Liebe Gemeinde!

 

Ich habe es in der letzten Woche oft und von vielen Seiten gehört: Sie feiern ja am Sonntag ihr Fest, Herr Pfarrer – und ich wünsche Ihnen dazu Gottes Segen und alles Gute! Freilich, das ist schon wahr: Der heutige Tag ist für mich ein wichtiger Tag. Ein Tag, der über das entscheidet, was ich in den nächsten Jahren tun werde. Ein Tag, der mir Wolfenhausen für die nächsten Jahre zu dem Ort macht, wo ich hingehöre, und wo ich meinen Dienst zu tun habe. – Aber so ganz richtig ist es doch nicht, wenn ihr von „meinem“ Fest redet. Denn eigentlich ist es doch unser gemeinsames Fest. Gilt doch dieser Tag genauso auch euch. Gilt er uns allen miteinander, die wir nun auf einige Jahre zusammengehören sollen. Es ist für uns alle eine rechte Selbstverständlichkeit, dass jede Gemeinde ihre Kirche und ihren Pfarrer hat, genauso wie sie ihr Rathaus hat und ihren Bürgermeister, und ihr Schulhaus und ihren Lehrer. Aber ist uns auch genauso klar, wozu dieser Pfarrer da ist? Es kann uns wohl schwer fallen, darauf sogleich eine klare und genaue Antwort zu geben. Wozu sind wir nun beieinander? Aber seht, es ist ja auch nicht nötig, dass wir selber diese Antwort finden. Das wir selber uns bemühen, die Aufgabe, die ich als Pfarrer hier in der Gemeinde habe, nun möglichst genau zu bestimmen und zu umschreiben. Denn der Schriftabschnitt, der uns zum heutigen Sonntag als Predigttext vorgeschrieben ist, redet sehr klar und bestimmt von der Aufgabe, die ein Pfarrer in seiner Gemeinde hat. Wozu ich hier in der Gemeinde da bin, das lässt sich mit den Worten des Apostels Paulus ganz einfach so ausdrücken: Damit wir durch Geduld und Trost der Schrift Hoffnung haben.

1)

Diesen Vers unseres Textes wollen wir nun zunächst näher miteinander betrachten: „Was aber zuvor geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben, auf dass wir durch Geduld und Trost der Schrift Hoffnung haben.“ Ich glaube, darüber brauche ich nicht allzu viel zu reden, das wir alle die heilige Schrift nötig haben. Dass wir alle es nötig haben, immer wieder neu auf das Wort dieser Schrift zu hören. Immer wieder neu durch diese heilige Schrift uns darauf hinweisen zu lassen, was das eigentliche Ziel unseres Lebens ist!

Wir wissen, diese Schrift haben wir nötig, wollen wir nicht ziel- und planlos unser Leben dahinleben. Diese Schrift haben wir nötig, damit wir, um mit den Worten des Paulus zu sprechen, Hoffnung haben. Eine Hoffnung, die hinausreicht über den Kreis unseres Lebens, den wir vor Augen haben. Der mit der Geburt beginnt und mit dem Tod endet. Der das umschließt, was wir vor Augen sehen. Wir brauchen die Schrift, um zu wissen, dass wir in dieser Welt nicht zu Hause sind, dass Gott uns eine andere Heimat bereitet hat!

 

Ihr wisst das, liebe Gemeinde, dass wir die Schrift brauchen; und darum bin ich in eurer Gemeinde als Pfarrer gesetzt, um euch diese Schrift auszulegen; um die Lehre dieser Schrift unter euch zu vertreten. Um euch den Trost und die Hoffnung dieser Schrift immer neu vor Augen zu stellen.

Seht, wir werden nun zusammen gehören. Wir werden nun einige Jahre beieinander sein. Aber wir sind nicht allein in diesem Beieinander. Vielmehr, die heilige Schrift soll die Mitte sein, um die wir uns zusammenfinden wollen. Sie soll uns verbinden. Sie soll der Sinn und der Zweck unseres Beieinanderseins sein. Nicht ich vermag euch zu belehren. Nicht ich vermag euch Gottes Willen kundzutun. Vielmehr: dazu bin ich bei euch, dass wir uns miteinander unter das Wort der Schrift stellen. Dass wir miteinander auf dieses Wort hören. Dass wir uns zusammen finden in dem gemeinsamen Trost, der uns allen aus der Schrift zufließt, und dass wir uns treffen in der gemeinsamen Hoffnung, die uns verbindet.

Dann wird unser Zusammenleben so wie es sein soll: Wenn die Schrift mit dabei ist. Ja, wenn die Schrift die Hauptsache ist. Dann kann das Wort des Apostels unter uns wahr werden: „Dass wir durch Geduld und Trost der Schrift Hoffnung haben.“

2)

Doch es genügt nun nicht, wenn ich auf die heilige Schrift hinweise, um das ganz auszuschöpfen, was uns der Apostel Paulus heute zu sagen hat. Und es genügt nicht, wenn ich von der Hoffnung rede, die durch die Schrift in uns geweckt werden soll. Vielmehr: Der Apostel weist uns heute noch weiter, weist uns noch tiefer, um uns zu zeigen, wozu wir als christliche Gemeinde beieinander sind. Er zeigt uns den letzten Grund, aus dem wir nach Gottes Willen miteinander leben sollen und leben können. Wir finden diesen letzten Grund ausgedrückt in dem Vers: „Darum nehmet euch untereinander auf, gleich wie Christus euch aufgenommen hat zu Gottes Lobe!“ Darum, liebe Freunde, können wir wirklich zueinander gehören, weil wir alle zu unserem Herrn und Heiland gehören. Darum können wir wirklich als christliche Gemeinde beieinander sein, weil er, weil Gottes Sohn zu uns gekommen ist. Dazu will uns ja auch die Schrift dienen, dass wir das immer neu hören: Gott ist bei uns in seinem lieben Sohn Jesus Christus. Gott hat uns alle angenommen, obwohl wir es ganz bestimmt nicht wert waren. Darum können wir nun beieinander sein als christliche Gemeinde. Als christliche Gemeinde, zu der alle gehören, ob sie hier ihre Heimat haben, oder ob sie zugezogen sind, ob sie Eingesessene sind oder durch die Not unserer Zeit gezwungen wurden, hier eine neue Heimat zu finden. Seht, solche Unterschiede gibt es nicht mehr, wenn wir als christliche Gemeinde beieinander sind. Da heißt es nur noch dies: Gott hat uns alle miteinander angenommen. Sein Sohn ist uns allen gleich geworden. Und er ist in gleicher Weise bei uns allen. Da gibt es keine Unterschiede der Herkunft und des Standes mehr, sondern nur noch die eine, große, überwältigende Barmherzigkeit Gottes, die uns alle umschließt. Er hat uns alle miteinander angenommen, und darum gehören wir alle zusammen als seine Gemeinde, um ihn einmütig zu loben und zu preisen. Freilich: das darf nun nicht so einfach hingesagt werden – diese: Gott hat uns alle miteinander angenommen, und darum gehören wir alle zusammen als sein Gemeinde zu seinem Lob und zu seiner Ehre. Vielmehr: Der Apostel Paulus begründet mit diesem Satze eine ernste Mahnung an uns alle: Weil Gott euch angenommen hat, darum sollen wir uns untereinander annehmen. Weil wir durch Gottes Gnade alle miteinander zusammengehören, darum sollen wir nun auch wirklich miteinander zusammenleben. Und er richtet diese Mahnung vornehmlich and die Starken, an die, die etwas gelten in der Gemeinde. Wir aber, die wir stark sind, sollen der Schwachen Gebrechlichkeit tragen und nicht Gefallen an uns selber haben. Seht, da legt der Apostel Paulus seinen Finger auf eine wunde Stelle bei uns allen, und zeigt uns, was unser Beieinandersein und unser Zusammengehören immer wieder stören möchte: Das ist unser Eigensinn. Das ist unsere Sucht, immer selber recht zu behalten. Immer selber das letzte Wort zu haben. Immer selber den eigenen Kopf durchzusetzen. Durch diesen Eigensinn, durch dieses Gelten-wollen entsteht unter uns Streit und Zwietracht. Denn wo jeder selbst bestimmen will, da entsteht Spaltung, Zwietracht und Verärgerung. Und wo einer meint, ihm sei Unrecht geschehen, da trägt er es nach – und so wird unser Beieinandersein, unser Zusammengehören, gestört. Und es wird ja nicht nur unser Beieinandersein gestört, sondern die Einmütigkeit des Gotteslobes kann da nicht aufkommen, wo jeder nur Gefallen hat an sich selber, wo jeder nur selber etwas gelten will. Darum muss uns der Apostel mahnen: Nehmet euch untereinander auf, gleich wie Christus euch aufgenommen hat zu Gottes Lobe. Lasst uns diese Mahnung zu Herzen nehmen. Lasst uns so beieinander sein, dass wir alles zurückstellen, was dieses Beieinandersein stören könnte. Denn nur dann können wir wirklich miteinander sein zu Gottes Lobe.

3)

Doch das lasst uns nun zuletzt auch noch betrachten, wie dieses Lob Gottes in unserem einmütigen Beieinandersein aussieht. Dieses Gotteslob vollzieht sich gleichsam in zwei Kreisen, deren einer im anderen liegt: Der innere Kreis ist da, wo wir uns zum gemeinsamen Gottesdienst versammeln. Davon redet der Apostel, wenn er sagt: „Dass ihr einmütig und mit einem Munde lobet Gott und den Vater unseres Herrn Jesus Christus.“ Liebe Gemeinde! Am Sonntagmorgen, da sollte es wirklich sichtbar werden, dass wir als christliche Gemeinde zusammengehören. Da sollte uns eigentlich nichts abhalten können, dass wir nun wirklich auch sichtbar beieinander. Und dass wir nun nicht nur beieinander sind, um eine Predigt zu hören. Denn im Gottesdienst, da haben ja nicht nur einige wenige etwas zu tun – der Pfarrer, und der Mesner, und der Organist, und vielleicht noch der Chor und die Musiker. Nein! Alle miteinander haben in diesem Gottesdienst etwas zu tun – nämlich einmütig und mit einem Munde Gott zu loben. Dazu bringen wir ja unser Gesangbuch mit in die Kirche. Und wir haben ja noch lange nicht die ganze Fülle des Gotteslobes ausgeschöpft, die in diesem Gesangbuch uns gegeben ist. Freilich, da genügt es nun nicht, dass wir bloß da sitzen und zuhören, sondern da muss jeder von uns etwas tun. Da muss jeder von uns lernen und mitmachen. Und ich bitte euch schon jetzt, nicht unwillig zu werden, wenn ich euch hin und wieder auffordern werde, nach dem Gottesdienst noch einige Minuten dazubleiben, um eines der neuen Lieder zu lernen und zu üben. Und wenn wir miteinander das Vaterunser beten, oder bei einer Taufe miteinander das Glaubensbekenntnis sprechen, so ist ja auch das eine Stelle, wo man wirklich etwas davon hören sollte, dass wir dazu da sind, einmütig und mit einem Munde Gott zu loben.

Aber seht – dieser Gottesdienst am Sonntagmorgen, der ist ja nur der innere Kreis unseres Beiseinanderseins. Wenn wir nach diesem Gottesdienst auseinandergehen, dann soll und darf das kein Auseinanderlaufen sein. Dann gilt es vielmehr erst recht, zu bewähren, dass wir zueinander gehören. Dann gilt es vielmehr erst recht, dass einer den andern so erträgt, wie er ist. Dass er sich nicht an den Schwächen und Absonderlichkeiten der Menschen stößt, mit denen er zusammenlebt, und mit denen er zusammen zu der einen christlichen Gemeinde gehört: Ob das nun der eigene Ehemann ist oder der Nachbar, oder auch der neue Pfarrer oder der Lehrer oder der Bürgermeister. Denn nicht nur dann wird Gott von uns gelobt, wenn wir in der Kirche miteinander singen, sondern auch das ist sein Lob, wenn wir einträchtig miteinander leben und arbeiten – einträchtig, weil wir alle von der einen großen Barmherzigkeit Gottes umschlossen sind.

Darum lasst uns diese Mahnung des Apostels recht zu Herzen nehmen. Und eigentlich kann ich mir ja heute am Tage meiner Amtseinsetzung nichts Besseres wünschen, als dass über meinem Dienst in der Gemeinde hier das Wort des Apostel steht: „Darum nehmet euch untereinander auf, gleichwie Christus euch aufgenommen hat zu Gottes Lobe.“ Amen