Erntedankfest, 27.10.1963 Wolfenhausen/Nellingsheim


230,1-8 Ich singe dir mit Herz…(181)

233, 1-3 Sei Lob und Ehr dem (220)

233,7 Sei Lob und Ehr (220)

(147 O Gott und Vater)

238,5.6 O dass ich Tausend (195)



Gen. 1,28-30, Ps. 104,24-35


Liebe Gemeinde!

Am Erntedankfest, da hören wir nicht nur, da sehen wir den Sinn des Festes vor Augen in dem, was uns da dargeboten wird. Da kommt die Natur mit ihrer verschwenderischen Fülle herein ins Gotteshaus. Es lebt, es wächst und gedeiht – auch dieses Jahr. Wir reden von der Fülle der Natur. Aber wir wissen, das ist nicht ein unpersönliches Gesetz, das ist nicht ein Lebensprinzip, das ist nicht etwas, was eben selbstverständlich so ist und gar nicht anders sein kann. Gott ist das, der Herr. „Gott segnete sie“ – damit schließt der Bericht von der Schöpfung des Menschen. Gott segnete sie – das ist es, was wir da wahrnehmen. Von Gott kommt dieses da, dieses Leben, dieses Wachsen und Reifen. In seinem Segen besteht es, in dem, was er angewiesen hat, und was nun geschieht nach seinem Willen.

Es wächst, es lebt, es wird erhalten - das gilt ja gerade für uns, für unser Leben, unser menschliches Dasein.

Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden herum wimmelt.“

Das ist Gottes Segen über unserem Menschsein – und wir werden seiner mit Recht gerade heute am Erntedankfest gedenken, das doch nicht einfach nur ein Bauernfest sein soll, sondern an dem wir alle danken, dafür, dass wir da sind, dass wir leben, und dass die Erde da ist, die diesem unserem Leben den Unterhalt gibt.

Das ist eine Gegebenheit – und wenn wir auch jenes Segenswort Gottes in der Befehlsform hören – das ist nicht etwas, das sein soll, sondern das ist etwas, das eben so ist. Wir können dem jetzt nicht in alle Einzelheiten nachgehen – können uns nur an einige Tatsachen erinnern, die in jenem Segenswort Gottes mit eingeschlossen sind. –Herrschet! – so heißt es da – macht euch die Erde untertan. Das kann der Mensch – kein anderes der Lebewesen – da ist jedes an seine bestimmte Umwelt gebunden, und kann nur dort leben – im Wald oder in der Wüste, im Dschungel oder an der Eismeerküste. Nur der Mensch ist hier und dort, kann sich jede Gegend wohnlich machen! Das Tier lebt von dem was es findet, der Mensch zwingt die Erde, hervorzubringen, was er braucht. Da ist der Verstand und der Wille, die den Menschen befähigen seine Welt zu gestalten – seine Menschenwelt. Wie sähe es aus bei uns, wenn es keine Menschen geben würde? Man mag sich das nur einen kurzen Augenblick überlegen – dann begreift man, was das hießt: Herrschet! Da ist Gottes Auftrag, Befehl, Zusage, Verheißung, der wir folgen, jeder, ob er es nun weiß, oder nicht, dass er hier Gott folgt.

Aber ist das wirklich ein Segen? Ist das gut so, was da Gott aufträgt und zusagt und verheißt? Diese Frage wird uns in unserer Zeit ganz anders nahetreten, als das vielleicht mit Menschen anderer Zeiten der Fall gewesen ist. Wir merkens`s vielleicht am schnellsten, wenn wir uns den ersten Worten dieses Segens zuwenden: Seit fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde – und werden da leicht dazu kommen, dass wir sagen: jetzt reicht es aber! Sie ist voll genug, diese Erde. Nicht wahr: Da lesen wir immer wieder die besorgten Rechnungen, nach denen sich die Weltbevölkerung bis zum Ende dieses Jahrhunderts verdoppelt oder gar verdreifacht haben wird. Wo soll dann Platz sein für die unendlich vielen Mensch, woher sollen sie Nahrung bekommen, woher gar die unendlich vielen Dinge, die nun einmal für ein menschenwürdiges Dasein notwendig sind. Ist sie ein Segen die menschliche Fruchtbarkeit – oder ist sie ein Fluch, weil wir nicht mehr fertig werden damit? Da kann man dann böse Worte hören davon, dass eben ein Krieg kommen müsse, der ein paar hundert Millionen Menschen kostet – dann gebe es wieder Platz. Aber wir selbst und unser Kinder, die sollen es natürlich nicht sein! Segen oder Fluch – diese Lebenskraft? Das ist eine Frage, die uns sehr nahe liegt. Und ist es mit dem anderen, mit der Herrschaft über die Erde, nicht genauso? So, dass wir fragen, ob es da nicht schon lange– oder auch erst vor kurzer Zeit – zu weit gegangen ist – so, dass wir fragen, ob der Mensch Verstand und ob sein Wille nicht eher ein Fluch ist als ein Segen. Ein Fluch, weil da keine Ehrfurcht mehr ist, ein Fluch, weil man da alles machen will, und weil die Menschen so viel gelernt haben, dass sie jedenfalls eine Fülle von Unheil anrichten können. Oder geht die Herrschaft über die Erde nicht zu weit, wo es so weit gekommen ist dass man schon beinahe imstande ist, die ganze Erde in die Luft zu jagen – und das bestimmt auch noch entdecken wird. Die Möglichkeiten zur Zerstörung und Vernichtung, die Menschen heutzutage in der Hand haben, sind jedenfalls schon schlimm genug.

Füllet die Erde! Herrschet!“ ist das ein Segen – oder ist es nicht eher ein Fluch? Das mag einem schon als Gedanke kommen, gerade an einem solchen Tag wie heute. Was kann der Mensch nicht alles? Beispielsweise ein Missernte vermeiden – die gibt es nicht mehr. Ein Jahr ist mehr oder weniger gut - aber so, dass man sagen müsste: Es hat gar nichts gegeben, wir wissen nicht, wie das Leben fristen bis zur nächsten Ente – das kennen wir nicht mehr! Und fragen gerade von da aus weiter, ob das gut ist!“ Muss ich mich nicht gegen diesen Segen Gottes stellen – darf ich, will ich, kann ich beispielsweise Kinder haben? Werden die noch Raum haben, wenn es doppelt und dreimal soviel Menschen sind wie heute? So frage sich mancher. Soll man weiter forschen, erfinden – war es gut, dass man vor 25 Jahren die Spaltbarkeit des Atoms entdeckt hat, und soll man nicht lieber aufhören, ehe einer auf noch Gefährlicheres kommt?

Liebe Freunde! Das sind schon so Gedanken, die uns kommen – von dem „Machet euch die Erde untertan“ – von dem „Seid fruchtbar und mehret euch“ aus. Gedanken, die jeder irgendwo denkt, Gedanken mit denen wir das da vorne durchstreichen – das Leben, seine Kraft, seine Fülle, die Freude daran. Es sind gottlose Gedanken – die so tun, als sei wirklich diese Welt von ihrem Gott los – die so tun, als stünde es bei uns, zu bestimmen, ob Gott flucht oder segnet, segnet oder flucht. Er ist Gott – darum ìst`s gut – das fruchtbar sein und sich mehren – auch wenn wir gerade nicht wahrzunehmen vermögen, wo das noch hinaus will – und das Herrschen und sich die Erde untertan machen, obwohl wir gerade recht in Sorge sind, ob das denn auf die Dauer überhaupt gut gehen kann.

Er ist Gott – darum gilts, ihn ernst zu nehmen! Über die Tiere herrschen – die Rehe, die kann man ruhig kurz halten – aber die Menschen? Gerade über die Fernen sollen wir nicht den Stab brechen. Verantwortlich handeln und denken sollen wir – und dann getrost unsere Kinder und unsere Welt Gottes Segen anvertrauen. Amen.