6. nach Trinitatis 2.7.1989 Weingartsgreuth / Mühlhausen

 

346,1-6      Die güldne Sonne

148,1+2     Gelobet sei

134            Gott, Vater, Sohn

189,1+2     Lobt Gott, den Herrn

205,6         Gott solln wir

139            Verleih uns Frieden

 

Röm 6,3-8

Mt 28,16-20

Jes 43,1-7

 

Liebe Gemeinde,

 

Haben wir ihn verdient, diesen Zuspruch: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst, ich habe ich bei deinem Namen gerufen, du bist mein? Haben wir ihn verdient? Womit haben wir ihn verdient? Soll ich sagen: Damit habe ich ihn verdient, diesen Zuspruch, dass ich doch ein religiöser Mensch bin, und bin Pfarrer und Professor geworden? Aber das kommt doch lange hinterher – lange nach dem, was da vorweg steht: „Und nun spricht der Herr, der dich geschaffen hat, Jakob, und dich gemacht hat, Israel: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst, ich habe ich bei deinem Namen gerufen, du bist mein!“ Geschaffen – gemacht: Das ist doch dem lange vorausgegangen, worauf ich mich allenfalls berufen könnte, dem Leben, das ich dann selbst verantwortlich und frei geführt habe (soweit man bei unserem menschlichen Leben in seinen vielerlei Abhängigkeiten und Bindungen überhaupt von Selbstverantwortung und Freiheit reden kann). Geschaffen – gemacht: Das ist diesem durch mich selbst verantworteten und geführten Leben doch längst voraus gegangen, in das dann vielleicht auch ein bisschen Frömmigkeit und Glauben eingewoben ist. Womit habe ich ihn verdient, diesen Zuspruch?

Oder muss ich da nun deutlicher sagen: Wir! Deutlicher, damit klar wird: es geht da um jeden, der beim Namen Gottes genannt ist, um sie alle, die zu dieser christlichen Gemeinde versammelt werden: „So fürchte dich nun nicht, denn ich bin bei dir .... alle, die mit meinem Namen genannt sind, die ich zu meiner Ehre zubereitet und gemacht habe.“ Alle, alle miteinander und also nicht ich, sondern wir. Die da in besonderer Weise zusammen gehören, durch eine gemeinsame Vergangenheit, eine gemeinsame Geschichte zusammen gebunden, und denen darum eine gemeinsame Zukunft der Erlösung eröffnet ist. Wenn da von Gottes Erschaffen die Rede ist, dann bedeutet das ja nicht nur, dass er jede und jeden in wunderbarer Weise im Mutterleib hat heran wachsen und zur Welt kommen lassen. Da gehört dazu, dass wir in eine Gemeinschaft hinein geboren wurden, eine Familie, die Eltern, die Geschwister, die Großeltern, Nachbarn und Verwandte, eine Gemeinde, eine Kirche, ein Volk. Und es gehört darum nicht bloß unsere persönliche Geschichte dazu, dass wir jetzt diesen herrlichen Zuspruch hören können, dass ich mir sagen lassen darf, dass wir uns sagen lassen dürfen: Fürchte dich nicht .... ! Haben wir das verdient? Womit haben wir das verdient? Meine Eltern habe ich mir nicht verdient und meine Großeltern, denen ich meinen Glauben verdanke, und habe mir die Lehrer nicht verdient, die mich unterwiesen haben, und habe mir den Lebensweg gewiss nicht verdient, den ich geführt wurde. Ich – jetzt rede ich schon wieder von mir: Aber das geht nicht gut anders. Da muss doch wohl jeder von uns „ich“ sagen, und dann können wir miteinander „wir“ sagen – und wissen: So wenig ich das verdient habe, so wenig haben wir das verdient, dass wir uns diesen Spruch sagen können – ich euch, und jeder kann ihn sich vorsagen, gelernt ist gelernt: „Fürchte dich nicht .... !“

Und nun macht der Prophet den Leuten die Herrlichkeit dieses Zuspruchs nicht so klar, dass er von dem redet, was damals und doch wohl auch heute zum Fürchten war und zum Fürchten ist. Er zeigt auf andere, denen dieser Zuspruch offenbar nicht in der gleichen Weise gilt. „Denn ich bin der Herr .... Völker für dein Leben.“ Nein! Da ist nicht die Rede davon, wie ungerecht das doch ist. Gott sucht sich seine Menschen aus. Mich hat er sich ausgesucht, uns hat er sich ausgesucht. Wir nehmen das hin, wie wenn es selbstverständlich wäre. Aber da erinnere ich mich an ein Reliquiar in einem aufgelassenen katholischen Nonnenkloster: Eine Hand von den unschuldigen Kindlein! Echt oder nicht: Die Hand eines Kindleins, das nicht gelebt hat! Vielleicht brauchen wir so ein Bild, um uns das ganz klar zu machen. Haben wir es verdient – auch bloß zu leben – nicht bloß zu leben, sondern so zu leben, wie es uns vergönnt ist? Zu leben als Menschen, zu denen der Glaube gekommen ist. Und jetzt kann ich euch hier dieses Evangelium sagen: „ Fürchte dich .... „

Erwählte Gottes, erwählte Menschen, eine erwählte Gemeinschaft, ein erwähltes Volk: Das zu hören tut gut, und ich kann nicht anders, als zu fragen: Haben wir das verdient? Womit haben wir das verdient? Es ist so: Erwählt, gesegnet, gesammelt, das sind wir. Das hört einer gern. Ich sage es mir gerne vor, und sage es euch gerne an. Und weiß doch genau, wie gefährlich das ist. Das hört einer gern – viele gerne hören das gerne, und leicht tritt dann ein falscher Prophet auf, und macht sich das zunutze, was die Leute da so gerne hören. Erwählt seid ihr und berufen. Die so alt sind wie ich, und noch älter, die wissen das ganz genau, wie man uns das vorgesagt hat: Das seid ihr Deutschen, erwählt und berufen. Und wisst genau, wie dann auf die Anderen gezeigt worden ist, die unter uns, und die jenseits unserer Grenzen, die nicht dazu gehören sollten zu diesen Erwählten. Und wenn er nicht von Gott redete, dieser falsche Prophet, dann hat er doch die Vorsehung beschworen, die uns Deutsche berufen und erwählt habe als diese besonderen Leute, denen schließlich die Welt gehören sollte (wie wir das als Pimpfe gesungen haben).

Jawohl, das hört einer gerne, dass er dazu gehört. Gerade die, die nicht so recht wissen, ob das stimmt. Wenn es Anderen besser geht, und einer glaubt, zu kurz zu kommen, dann ist er leicht bereit, auch einmal seine Ohren zu spitzen, wenn sich falsche Propheten hören lassen: Du gehörst dazu, darum hast du es besser verdient. Und um den Leuten klar zu machen, dass sie dazu gehören, und es besser verdienen, braucht man dann andere, auf die einer hinzeigen kann, in unserer Mitte und draußen: Die gehören nicht dazu, die verdienen’s nicht. So einfach ist das, und so primitiv, und geht immer wieder nach demselben Muster: Die Leute hören es gerne, dass sie etwas Besseres sind, und dass sie etwas Besseres verdient haben. Und lassen sich dann einfangen von so einem falschen Gerede: Nehmen wir’s in die Hand, spielen wir den lieben Gott und die Vorsehung: „Ich habe .... für dein Leben.“ Hört, das ist Gottes Sache. Und weh denen, die meinen, sie könnten das in die Hand nehmen, weil sie doch dazu gehörten, zu diesem Deutschland beispielsweise, und also etwas Besseres verdienten als andere.

Nein! Haben wir das verdient? Womit haben wir das verdient – diesen herrlichen Zuspruch? Ich nicht, wir nicht. Es ist allein die Sache Gottes, dessen, der unbegreiflich erwählt: „So fürchte dich nun nicht .... gemacht habe!“ Ich kann nur dankbar daran denken: Wie mich Gott geführt hat, dass ich zu diesen Erwählten gehören darf.  Mein Leben, meine Eltern und Großeltern, meine Lehrer und Freunde, all die Menschen, die da zusammen gehören. Wir, die christliche Gemeinde hier: Was sollen wir anders als danken! Gott, du mein Herr – der mich geschaffen hat, der mir das Leben gegeben hat! Wie hast du mich wunderbar geführt. Ich danke dir. In wie viel Gefahren hast du mich bewahrt. In wie viel Gefahren des Leibes hast du mich beschützt bis zu heutigen Tag. Und in wie viel Gefahren der Seele bist du mir beigestanden. Du hast mir geholfen, so mancher Verführung zu widerstehen. Du hast mir dein Wort erschlossen, dass ich im Glauben bewahrt worden bin. Womit habe ich das verdient? Danken können wir: Miteinander danken, dass er, Gott, uns mit seinem heilsamen Wort erreicht hat, und hat uns Lehrer gegeben, die dieses Wort ausgelegt haben, dass es unter uns Frucht gebracht hat, und der Glaube bei uns bewahrt wurde – trotz unserer Sünde, trotz unseres Unglaubens, so viel Versagen und Angst und Verführbarkeit.

Ich habe es nicht verdient. Wir haben es nicht verdient, dass uns solcher wunderbare Zuspruch gelten soll. Wie kann, wie soll ich denn dann aus solchem leben, das mir da geschenkt ist, womöglich ein Privileg machen, und so tun, als wenn das doch mein Verdienst, und ich ein besserer Mensch und wir bessere Menschen wären? Bewahre uns Gott vor solcher Torheit, und halte uns am Glauben zu seiner Ehre. Amen.