2.nach Trinitatis 26.Juni 1960      Wolfenhausen / Nellingsheim

 

126,1-4          Herr Jesus Christ (102)

245,1-5          Kommt her zu mir (155)

418,4  Kreuzeskönig (218)

205,6  Lobt Gott getrost (165)

 

Joh 7,37-39

Jes 55,1-5

 

Liebe Gemeinde!

 

Sind wir Christen diese Leute mit der weltweiten Anziehungskraft, von welcher der Prophet redet – so, dass sie wirklich zu uns laufen, die Menschen von überall her, weil sie es merken: Da, wo die Christen sind mit ihrem Gott, da gibt es wirklich Leben. Da gibt es mehr, ein besseres, ein sinnvolleres Leben als ohne diesen christlichen Glauben. Von dieser Anziehungskraft des rechten Glaubens auf andere, von der redet Jesaja doch, wenn er sagt: „Siehe, du wirst Heiden rufen, die du nicht kennst, und Heiden, die dich nicht kennen, werden zu dir laufen  um des Herrn willen, deines Gottes und des Heiligen Israels, der dich herrlich gemacht hat.“ Seht  - so sollte es sein, und in Wirklichkeit erleben wir doch fast das genaue Gegenteil – nicht ein Herzlaufen, sondern ein Weglaufen, ein Weglaufen derer, die eigentlich mit dazu gehörten zu diesem Glauben, weil sie in ihm getauft und konfirmiert sind. Woran mag das liegen? Liegt es daran, Dass es uns zu gut geht? Liegt es daran, dass wir leichtsinnig sind, leichtsinnig und gedankenlos? Oder liegt es daran, dass das Wort Gottes eben langweilig geworden ist, langweilig uns fade – dass uns diese Aufforderung gar nicht mehr recht eingeht, dieses: „Höret doch auf mich, so werdet ihr Gutes essen und euch am Köstlichen laben.“

 

So steht es mit uns, mit unserem Glauben, mit unserer Kirche, die wenigstens in ihrer äußeren Gestalt, ihrem Gewicht bei den Einzelnen, ihrer Anziehungskraft den Menschen gegenüber abzubauen scheint. Doch wollen darüber gewiss nicht lamentieren. Nicht eine herrliche Kirche brauchen wir, nicht einen allgemein angesehenen und anerkannten Glauben, nicht den Zustrom der Massen und auch nicht eine intakte, christliche Ordnung und Sitte – sondern den herrlichen Gott, den brauchen wir. Seine Kraft, die müssen wir haben. Auf seine Treue müssen wir uns verlassen können – auf den ewigen Bund, welchen er mit uns geschlossen hat, uns die gewissen Gnaden Davids zu geben, die Gnadenerweisungen durch welche der König David einst groß und erfolgreich war. Zeuge der Kraft Gottes den Völkern gegenüber, ihr Herr und Gebieter, weil Gott das so wollte. Ich sage: Diese Kraft und diese Treue Gottes brauchen wir, um damit zu leben. –Seht, es mag sein, dass wir ganz allgemein dieser Kraft und dieser Treue Gottes viel näher sind, als wir es ahnen. Dass diese Kraft und Treue Gottes unter uns viel mehr Vertrauen findet, vielleicht uneingestandenes und unbewusstes Vertrauen, aber immerhin ein Vertrauen, das da ist und sich im Allgemeinen auch bewährt.

Seht – Mit diesem – oft uneingestandenen und unbewussten Vertrauen in Gottes Kraft und Treue, da meine ich ganz einfach die Lebenszuversicht, die uns erfüllt und aufrechterhält. Eigentlich dürfte es doch in unseren Zeiten, bei dem, was wir alles erlebten und erleben, was wir ständig vor Augen ge…kt bekommen, diese Lebenszuversicht gar nicht geben. Wenn wir den Verstand fragen, nach unseren Zukunftsaussichten ihn befragen, die wir haben als Menschheit, als Volk, als Gemeinde, als Berufsstand (etwa wir Pfarrer oder ihr Bauern), als Familien und als Einzelne: Wenn wir unseren Verstand nach unseren Zukunftsaussichten befragten, dann müssten wir eigentlich allesamt Pessimisten werden, die erwarten, dass es im besten Fall nicht ganz schlecht werde, oder gar Nihilisten, die sagen, dass es mit der Zukunft aus und vorbei sei, dass das Nichts komme, der Atomtod oder die vollständige Kollektivierung, in welcher die Menschheit eben nur noch ein ungeheurer Ameisenstaat sei, ohne Freiheit und ohne Menschenwürde. – So, wenn wir unseren Verstand auf unsere Zukunftsaussichten befragen, die er angewiesen sieht auf die Einsicht und … guten Willens der Menschen – und wie es damit steht, bei den kleinen und erst recht bei den großen Herren, das wissen wir nur zu gut, als dass wir uns hier irgendwelchen Illusionen hingeben könnten.

 

Und doch: Wir handeln ganz anders, wir richten uns keineswegs nach solchen betrüblichen Einsichten, wie sie  unser Verstand uns zu vermitteln vermag. Wir leben nicht auf solche trüben und unerfreulichen oder gar grausigen und verheerenden Zukunftsaussichten hin, sondern kümmern uns recht wenig um das, was unser Verstand uns hier zu sagen hat. Vielmehr: Wir arbeiten und bauen an unserer kleinen persönlichen oder an unserer größeren gemeinsamen Zukunft, wie wenn es keine grausige Bedrohung durch menschlichen Unverstand und menschliche Bosheit gebe. Wir gründen Familien, wir freuen uns über unsere Kinder und sehen unsere Aufgabe darin, für sie zu sorgen, dass es ihnen einmal besser gehe als uns. Ich könnte noch lange fortfahren in der Aufzählung solchen Verhaltens, das man so oder so werten kann. Man kann sagen, dass all dies Tun eben zeige, dass wir noch nicht begriffen haben, wir Menschen miteinander, an welchem Abgrund wir stehen. Dass wir leichtfertig seien und gedankenlos. Ich glaube, dass das nicht richtig ist. Sondern dass dies unser Verhalten – jenseits einer bewussten Entscheidung für Gott oder gegen Gott, jenseitseines klar und bewusst gehaltenen Glaubens oder Unglaubens ein Anzeichen dafür ist, dass Gottes Kraft und Treue eben doch noch mehr gilt als die Bosheit und der Unverstand der Menschen. Dass wir alle leben – und im Vertrauen auf eine Zukunft nur leben können, wenn wir uns eben an diese Treue Gottes halten, an seine Kraft. Nur so können wir für die Zukunft leben, nur so können wir bauen, nur so können wir arbeiten, können wir Familien gründen und Kinder aufziehen, in jenem Vertrauen auf Gott und die Zukunft, die er uns gewährt und die aller Unverstand und alle Bosheit der Menschen uns nicht verstellen kann.

 

Freilich – dieses Vertrauen (ich könnte auch sagen: diese optimistische Grundhaltung dem Leben gegenüber): Das ist gewiss nicht Glaube und erst recht nicht der wahre christliche Glaube. Aber ich meine doch dies: Wir als Christen sollten sehen, wie dieses Vertrauen wirklich da ist. Wir sollten uns nicht schämen, zu solchem Optimismus zu stehen, denn wir wissen, wie er auf Gott zielt, wir kennen seinen Ort. Freilich, gerade dann aber werden wir sagen müssen: „Wohlan, alle die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser! Und die  ihr nicht Geld habt, kommt her, kauft und esset!“ Wir werden das sagen, nicht so, wie ich es leider schon oft gehört habe: Dass wir den Menschen schlecht machen, was sie bisher getan und getrieben haben. Dass wir sie verdummen, wo sie nichts von Gott wissen. Dass wir ihnen drohen, wo sie nicht zu uns kommen wollen. Von all dem finden wir nichts in den Worten des Propheten. Wir hören nur eine Einladung, zu kommen. Sich zu laben. Den Durst und den Hunger zu stillen – zu hören. Zu hören auf Gottes Wort. Zuhören auf Gottes Zusage, sein Versprechen, dass er’s nicht fehlen lassen werde, dass er reichlich daherbringen werde, was wir brauchen, dass er seine Gnade nicht von uns nehme, dass er uns mit seiner Kraft und Treue begleiten werde, dass er unser Vertrauen in ihn gewiss nicht enttäuschen wolle.

 

Seht, da haben wir Gottes Wort, so, wie er’s uns zuspricht – und nichts anderes ist von uns verlangt, als diesem Wort zu vertrauen, als ihm Glauben zu schenken. Seht – dieses Vertrauen, das ist noch einmal etwas anderes als jener Optimismus, jene Lebenszuversicht, von der ich redete und die ich am liebsten als so etwas wie einen natürlichen Glauben bezeichnen möchte. Dieser Glaube, der ist der rechte, christliche Glaube, ist der Glaube, der wirklich trägt – ist das Brot, das wirklich den Hunger stillt, gerade dort, wo die Not da ist, gerade dort, wo es mit jenem natürlichen Glauben eben nicht mehr weiter geht, wo der Optimismus, wie wir das ja wohl wissen, so gar leicht in Unzufriedenheit, in Angst, in Sorge und Verzweiflung umschlägt. „Warum zählt ihr Geld dar für das, was doch kein Brot ist, und tut Arbeit, von der ihr nicht satt werden könnt?“ Das ist unsere Frage, die Frage des christlichen Glaubens an jene natürliche Lebenszuversicht, die uns allenthalben, ja, die uns in uns selber begegnet. Warum begnügen wir uns mit dem halben, mit dem oft genug unverstandenen, unbewussten Gottvertrauen, wo doch das rechte, das beständige und wahrhaftige Vertrauen auf Gott uns angeboten wird? Warum halten wir uns lieber an das unbestimmte Gefühl, es werde schon gut gehen, wo wir doch die feste und klare und verständliche Zusage haben, von Gott haben, dass wir uns wirklich auf ihn verlassen können? Ist das darum so, weil jenes bewusste, klare Gottvertrauen, der wahre, christliche Glaube in die Wirklichkeit der Erwartung mit einfließt, woran jener natürliche Glaube lieber nicht denkt, weil ihn das stören und zerstören könnte? All das nämlich, was wir Christen als „Kreuz“ bezeichnen – ganz verschieden im Einzelnen und doch eben bezogen auf den Anführer unseres Glaubens, auf Jesus. Seht – wenn wir jenes Gottvertrauen des natürlichen Optimismus betrachten: Es richtet sich auf Gottes Werke, und darauf, dass er seine Werke – sein lebensförderndes Werk – auch weiterhin treiben werde. Aber: Wo einer am Kreuz hängt, wo er das Leben entschwinden sieht, fühlt, da ist eben der Optimismus an seiner Grenze. Da bleibt nichts anderes als das Vertrauen in Gott als Person, in das Wort, das er gesprochen hat. Und da gewinnt der Glaube wirklich seine Kraft, dass, wer solchen Glauben sucht, herzu läuft und auch an dieser Herrlichkeit teilhaben will. Amen.