Jes 60,1-3 24.12.1977 Christvesper, Kosbach
Herr, unser Gott,
der du uns in Jesus Christus zu unsrem Heil erschienen bist,
wir bitten dich,
erleuchte unsere Herzen und erfülle uns mit deiner Gnade durch unseren Herrn Jesus Christus, deinem Sohn…
Herr Gott,
der du die Erwartung derer, die auf dich hoffen, nicht enttäuscht hast, sondern hast über uns das Licht der Weihnacht aufgehen lassen,
wir bitten dich, gib uns dein Licht in das Dunkel um uns und in uns, damit wir deine Nähe wahrnehmen und unsere Hoffnung wachsen kann, durch unseren Herrn und Heiland Jesus Christus. Amen
Liebe Gemeinde,
für mich gehören die prophetischen Verheißungen aus dem Alten Testament genauso zu Weihnachten, wie der Bericht von der Geburt Jesu aus dem Lukasevangelium. Ja, ich habe das Gefühl, diese Prophetenworte, wie zum Beispiel das aus dem Propheten Jesaja, das ich eben gelesen habe, die seien mir noch näher als die wohlbekannten Bilder aus der Geburtsgeschichte, das Kindlein in der Krippe mit Maria und Josef, oder die Hirten auf dem Feld, denen der Engel erscheint. Ich habe darüber nachgedacht, woran das wohl liegen mag; und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass hier Worte einer großen Hoffnung sind, die Erwartung und Erfüllung übergreift. Darum fällt es mir so leicht, mir gerade diese Worte anzueignen, sie als meine Worte nachzusprechen, mich hineinzudenken in diese Worte, die dann meine Worte, unsere Worte werden können.
Hier sind Worte einer Hoffnung für uns, die Erwartung und Erfüllung übergreift. So können wir diese Worte uns als unsere Worte aneignen. Wenn wir jetzt miteinander Weihnachten feiern, bedeutet das ja nicht, dass damit die Hoffnung, die in diesen Worten liegt, zu Ende gegangen wäre. Gewiss, die Erwartung des Propheten ist mit der Geburt des Heilandes erfüllt. Da, im Stall von Bethlehem, ist das Licht aufgegangen, von dem er redet. Und wenn wir die Worte Jesajas hören: „Die Heiden werden zu deinem Lichte ziehen, und die Könige zu dem Glanz, der über dir aufgeht“ – so stehen uns die Bilder vor Augen (wie sie fromme Phantasie immer weiter ausgemalt hat), von den Königen, die dem Stern von Bethlehem nachziehen, bis sie das Kind in der Krippe gefunden haben. Aber mit diesen Geschichten, die uns die Erfüllung der großen prophetischen Erwartung erzählen, ist die Hoffnung noch nicht abgegolten. Noch bedeckt Finsternis das Erdreich und Dunkel die Völker. Noch bleibt die Hoffnung, dass es einmal ganz und endgültig hell werden soll, hell um uns und in uns. Darum sind mir diese Prophetenworte so wichtig, weil sie Ausdruck für eine Hoffnung sind, die Erwartung und Erfüllung übergreift.
Wenn wir miteinander Weihnachten feiern, dann tun wir es in einer solchen Hoffnung. Nicht nur darum, weil Weihnachten in erster Linie das Fest der Kinder ist. Und jedes Kindlein ist doch eine Fleisch und Blut und Menschengestalt gewordene Hoffnung. Wir alle feiern in solcher Hoffnung, die Erwartung und Erfüllung übergreift, denn in solcher Hoffnung liegt die Spannkraft unseres Lebens. Hörte diese Hoffnung auf, so würde dieses Leben schwach, matt, ohne Richtung, ohne Bewegtheit. Darum ist es ja gut, wenn wir feiern können. In der Erwartung – so, wie wir als Kinder dem Heiligen Abend gespannt entgegen gewartet haben. Es gab für dieses Warten die Erfüllung, den Lichterbaum, die Krippe, die Geschenke. So gibt es für viele Erwartungen unseres Lebens die Erfüllung. Daran sollten wir dankbar denken. Das gerade heute. Dankbar Gott gegenüber. Aber auch dankbar den Menschen gegenüber, die unsere Erwartung nicht enttäuscht, die sie vielmehr erfüllt habe. Aber die Hoffnung, die unser Leben gespannt erhält, ist damit nicht abgegolten. Sie gilt weiter, über die erfüllten Erwartungen hinaus, wie jene Prophetenworte, die dieser Hoffnung Ausdruck verleihen.
Hier muss ich nun noch einmal auf eine Eigentümlichkeit des Prophetenwortes aufmerksam machen. Da heißt es: „werde Licht – denn dein Licht kommt.“ Es ist nicht eine Art automatischer Ablauf, von dem da die Rede wäre: Jetzt ist es dunkel, aber irgendwann einmal, da wird dann Gott es hell machen. Vielmehr: Die hoffen und warten, sind hier mit beteiligt: Mache dich auf, werde Licht! – das ist eine Aufforderung. Es liegt mit an uns, dass die Hoffnung lebendig bleibt. Es liegt mit an uns, dass Erwartungen nicht enttäuscht, sondern erfüllt werden. Wir suchen die Erwartungen unserer Kinder heute, am Weihnachtfest, zu erfüllen – damit diese Kinder weiterleben können in der Spannkraft, die die Hoffnung gibt. Denn enttäuschte Erwartungen machen die Hoffnung lahm und elend. Aber erfüllte Erwartungen spannen diese Hoffnung an und lassen das Leben Kraft gewinnen. Wenn wir das einsehen, dann werden wir vielleicht noch aufmerksamer werden, um andere nicht zu enttäuschen, sondern ihre Erwartungen zu erfüllen.
Weihnachten – das ist das Fest der erfüllten Erwartungen. Gerade darum kann es die Hoffnung lebendig erhalten und anspannen – die große Hoffnung, dass es endlich ganz hell wird in uns und um uns: Wenn die Engel singen, mit den Heil'gen all, und die Psalmen klingen im hohen Himmelssaal: Eia, wär'n wir da! So spricht der Prophet im Namen Gottes:
Aber du, Tochter Zion, freue dich sehr
Und du, Tochter Jerusalem, jauchze:
Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer,
arm, und reitet auf einem Esel,
auf einem Füllen der Eselin.
Denn ich will die Wagen wegtun aus Ephraim, und die Rosse aus Jerusalem, und der Kriegsbogen soll zerbrochen werden.
Denn er wird Frieden gebieten den Völkern, und seine Herrschaft wird sein von einem Meer bis zum andern und vom Strom bis an die Enden der Erde.