4. Advent, 20. Dezember 1959, Wolfenhausen/Nellingsheim

 

403, 1-5     Sieh‘ dein König          (172)

7,1-5          Nun jauchzet all          (15)

11,1-3        Gott sei Dank     (94)

11,4-7       

 

Luk 18,1-8

Jes 62, 1-12

 

Liebe Gemeinde!

 

Möchten wir nicht alle Recht behalten mit unserem Glauben? Ja, eigentlich ist das doch eine ganze Selbstverständlichkeit.

Das gehört doch zum Wesen des Glaubens mit dazu, dass er Recht hat. Wer könnte glauben, der nicht felsenfest davon überzeugt wäre: Ich habe recht mit meinem Glauben. Er ist nicht bloß eine Einbildung, dieser Glaube. Sondern er ist ein festes und zuverlässiges Wissen, das nicht enttäuscht wird. Das deshalb nicht enttäuscht wird, weil es sich auf den wahren und lebendigen Gott richtet, der den gewiss nicht verlässt, der auf ihn traut!

Seht – von dieser felsenfesten und unerschütterlichen Gewissheit lebt er ja, der Glaube, von der felsenfesten und unerschütterlichen Gewissheit, dass er Recht hat. Von der felsenfesten und unerschütterlichen Gewissheit, dass Gott diesen Glauben nicht enttäuscht sondern, dass er gewiss erfüllt, was der Glaube erwartet und erhofft.

Es gehört zum Glauben die Gewissheit, dass er Recht behalte mit dem, was er glaubt. Aber freilich: Recht behalten kann dieser Glaube ja nur dann, wenn Gott sich zu ihm bekennt. Wenn er, der treue Gott, diesem Glauben zu Hilfe kommt. Wenn er ihn belohnt dadurch, dass er erfüllt, was dieser Glaube erhofft und erwartet. Seht – das gehört doch beides untrennbar zusammen: Der Glaube, der sich nach Gott ausstreckt in der unerschütterlichen Gewissheit, dass Gott ihn nicht verlasse. Und Gottes Treue, die diesem Glauben entgegenkommt, die diesen Glauben bestätigt, die ihm recht gibt, dass er nicht umsonst und vergeblich sich auf Gott verlässt, sondern dass Gott ihm wirklich hilft, ihm wirklich entgegenkommt – dass Gott dem die Treu hält, der auf ihn vertraut.

Ich sage: Das gehört zum Wesen des Glaubens, dass er davon überzeugt ist, dass er schließlich doch recht behält. Und nur dann kann er ja Recht behalten, wenn Gott in seiner Treue sich zu diesem Glauben bekennt.

Nur dann, wenn wir dies Wesen des Glaubens richtig begriffen haben – nur dann können wir jene Worte des Propheten recht verstehen, die Worte eines starken und drängenden und ungestümen Glaubens. Eines Glaubens, der Recht behalten will und weiß, dass er recht behält, und der darum Gott bestürmt, der ihn bestürmt, er möge kommen. Der ihn bestürmt, er möge das Recht des Glaubens erweisen.

Freilich – ein wenig fremdartig berührt uns doch, was dieser Prophet sagt. Es fiele uns gewiss nicht gar zu schwer, das Ungestüm und die Kraft seines Glaubens zu begreifen. Aber dieser Glaube, der richtet sich auf einen Gegenstand der unserem Glauben eigentlich recht fremd ist: Auf den Berg Zion, auf die heilige Gottesstadt Jerusalem. Um den Berg, auf dem der Tempel Gottes stand, um die heilige Stadt Jerusalem kreisen die Gedanken des Propheten. An dieser Stadt soll Gott seine Treue erweisen. In dem was mit dieser Stadt geschieht, soll sich zeigen, dass der Glaube des Propheten Recht behält.

Um diesen einen Gedanken kreisen alle Worte dieses Kapitels, das wir mit einander betrachten. Darum nur predigt der Prophet, damit sich Gottes Treue an dieser Stadt erweise: so beginnt er ja: „Um Zions willen will ich nicht schweigen, und um Jerusalems willen will ich nicht innehalten, bis seine Gerechtigkeit aufgehe wie ein Glanz, und sein Heil brenne wie eine Fackel, das die Heiden sehen dein Heil und alle Könige deine Herrlichkeit.“

Darin will sein Glaube Recht behalten, dass er die Herrlichkeit der Stadt Jerusalem erlebe. Der Stadt, die nach der Wegführung des Volkes in die babylonische Gefangenschaft 70 Jahre lang, zwei Menschenalter lang, in Trümmern gelegen war. Und jetzt waren die ersten Leute aus der Gefangenschaft heimgekehrt, und machten sich dran, die Trümmer zu beseitigen und mit dem mühseligen Geschäft des Wiederaufbaus zu beginnen. Da war es, als der Prophet mit seiner Predigt diese Menschen aufrüttelte, ihnen jenes Ziel vor Augen stellte: „Du Stadt Jerusalem, du wirst sein eine schöne Krone in der Hand des Herrn und ein königlicher Reif in der Hand deines Gottes.“

Freilich – jene Herrlichkeit Jerusalems, die der Prophet erwartete und erhoffte, die könnte das armselige Häuflein der Rückwanderer nicht erschaffen mit all ihrer Arbeit und mit all ihrer Mühe. Nein! So war der Glaube des Propheten, dass Gott selber das tun müsse, was die Menschen nicht vermochten. Darum hat er die Jüngerschar, die sich um ihn versammelt hatte, zum Gebet aufgerufen, zum unaufhörlichem Anrufen Gottes, dass er die Stadt Jerusalem baue, dass er so den Glauben des Propheten bestätige und ihm recht gebe: „O Jerusalem, ich habe Wächter über deine Mauern bestellt, die den ganzen Tag und die ganze Nacht nimmer schweigen sollen,“ so redet der Prophet von diesen seinen Jüngern. Und er redet diese Jünger an und befiehlt ihnen: „Die ihr den Herrn erinnern sollt, ohne euch Ruhe zu gönnen, lasst ihm keine Ruhe, bis er Jerusalem wieder aufrichte und setze es zum Lobpreis auf Erden.“

Seht – verstehen können wir schon, um was es dem Propheten ging in seinem Glauben, in der glühenden Erwartung, dass der Herr sich über Zion erbarme. Das war nicht nur ein Lokalpatriotismus, der eben an der Heimat hängt und will, dass sie geachtet und geehrt und hochberühmt sei. Vielmehr: Wenn der Prophet so stürmisch danach verlangte, dass Jerusalem wieder zu Ehren komme, dann deshalb, weil er wusste: Von dort muss das Heil der ganzen Welt seinen Ausgang nehmen, von dort muss Gottes Herrlichkeit zu den Heiden kommen, zu allen Völkern, die auf Erden wohnen. Darum sollte es ja alle Welt erfahren: Jetzt ist es bald soweit! „Siehe der Herr lässt es hören bis an die Enden der Erde: Saget der Tochter Zion: Siehe, dein Heil kommt!“

Verstehen können wir diesen Glauben des Propheten schon. Wir können versuchen, uns in diesen Glauben hineinzudenken. Aber gerade wenn wir das tun, werden wir begreifen: Dieser Glaube des Propheten kann nicht unser Glaube werden! Wenn wir es hören: „Siehe, dein Heil kommt“ – dann wissen wir mehr, als der Prophet damals wissen konnte. Wir wissen, wie dies Heil gekommen ist. Dass es anders kam, als der Prophet sich das dachte. Dass man, als die Zeit des Heiles erfüllt war, eben gerade nicht die Herrlichkeit der Stadt Jerusalem gesehen hat, wie er sich das vorstellte. Vielmehr: Dass Gott dem Glauben wahrhaftig entgegengekommen ist. Aber ihm eben so entgegengekommen ist, dass es nur der Glaube wahrnehmen konnte: Da ist das Heil. Dass es nur der Glaube erkennen konnte: Das ist Gottes Herrlichkeit. So und nicht anders hat es Gott gefallen, seine Verheißungen zu erfüllen. So und nicht anders hat es Gott gefallen, dem Glauben Recht zu geben. Dem Glauben jenes Propheten, dem Glauben seiner Jünger, die er zum unaufhörlichen Gebetsdienst eingesetzt hatte, dem Glauben aller jener Frommen des alten Bundes, die ihr Vertrauen auf Gottes Treue setzten.

Seht – an den Worten unseres Textes lernen wir dies, dass der Glaube sich wohl manchmal vergreifen mag in den Gedanken und Worten, mit welchen er seiner Erwartung und Hoffnung Ausdruck verleiht. Das mag uns eine Warnung sein. Gott lässt sich`s nicht vorschreiben, wie er dem Glauben Recht gibt. Er lässt sich`s nicht vorschreiben, dass er jetzt dies tun müsse und dann das – wie wir`s so oft versuchen. So wenig Gott sich`s von unserem Propheten vorschreiben ließ, dass er seinen Glauben dadurch bestätigen müsse, dass er Jerusalem baue und es groß und herrlich mache – so wenig lässt er sich`s von uns vorschreiben, wie er uns helfen will. Wir hätten gerne, dass Gott Krankheit und Schwachheit von uns nehme – dass wir`s an der Gesundheit unseres Leibes erkennen: Unser Glaube ist nicht vergeblich, Gott hat ihm sein Recht gegeben! Wir hätten gerne, dass unsere Kinder den Weg gehen, auf welchem wir sie gerne sehen wollten, dass wir`s an ihrem Glück und an ihrer Rechtschaffenheit aufweisen könnten: Gott hat unserem Glauben recht gegeben! Wir hätten gerne, dass wir eine große Erweckung erleben in unsern Lande, dass die Kirchen sich füllen, dass der Glaube an Boden gewinnt, dass der Unglaube und die Bosheit aus dem Feld geschlagen wird, dass wir`s an unserer Kirche, ihrer Größe, ihrem Einfluss, ablesen könnten: Gott hat unserem Glauben recht gegeben!

Seht – wie sich der Glaube des Propheten vergriffen hat, als er meinte: An Jerusalem, an seiner Herrlichkeit, an seiner Größe muss es sich ablesen lassen, dass mein Glaube recht hat, dass ich mich nicht vergeblich auf Gott verlasse – genau so ist unser Glaube mannigfach in der Versuchung, dass er sich vergreift. Dass er das Recht des Glaubens da sucht, wo Gott es nicht bestätigen will.

Nur der Glaube – der Glaube allein gilt! Nur er kann sehen, wie Gott ihm Recht gibt. Wie Gott ihm entgegenkommt. Verborgen und in aller Niedrigkeit. Nur der Glaube, der Glaube allein, vermag zu erkennen, wie Gott ihm wirklich Recht gegeben hat. Wie er ihm die Treue gehalten und ihm bestätigt hat durch Jesus. Das Kindlein in der Krippe, den Mann am Kreuz. Wo wir das erkennen, da ist bei uns die Bahn frei für sein Kommen. Amen.