4. Advent, 18.Dez. 1960
Wolfenhausen/Nellingsheim
7,1-5 Nun jauchzet all (15)
4,1-6 Es kommt ein Schiff (281)
402,3 Warum willst du (256)
7,6 Nun jauchzet alle (15)
Phil. 4,4-9
Liebe Gemeinde!
Ihr wisst alle, wie das
zugeht, wenn ein Theaterstück gespielt werden soll: Da muss man zunächst einmal
das Stück selber in der Hand haben, muss sehen, welche Rollen da vorgesehen
sind. Und dann hat man sich nach den Leuten umzusehen, welche diese Rollen
spielen können.
Seht! Diesen Vorgang können
wir uns als ein Gleichnis und Sinnbild nehmen, um uns das zu verdeutlichen, was
uns hier im Johannesevangelium berichtet wird. Die Juden waren Leute, die
meinten, sie kennten das Stück, das gespielt werde, sie wüssten, was Gott
mache, dann mache, wenn es nach seinen Willen Zeit sei, der Welt ihr wohl
verdientes Ende zu setzen. Sie glaubten, sie wüssten so ziemlich, welche Rollen
in dieses Stück gehörten und welches die Aufgabe sei, die dem Träger dieser
oder jener Rolle zukomme. Nun, als Johannes der Täufer auftrat, da dachten sie:
Jetzt hat dies Stück angefangen, jetzt ist die Endzeit da, jetzt kommt Gottes
Reich – wie das denn Johannes auch recht deutlich selber sagte mit seiner
Predigt: Tut Buße, das Himmelreich ist nahe herbeigekommen. Sie dachten, jetzt
habe es angefangen, dies Drama des Weltendes – und waren sich nur noch nicht
ganz sicher, welche Rolle es nun sei, die Johannes der Täufer in diesen Drama
genau zu spielen hatte. Darum also schickten sie hin zu dem Täufer, um sich zu
erkundigen, wer er sei – genauer gesagt: Um zu fragen, welches seine Rolle sei
in dem Geschehen, welches das Ende der bösen Welt und den Anbruch der Heilszeit
bringen sollte. Sie fragten Johannes: Wer bist du? Und dachten, entweder sei er
der Christus selber, der Heilsbringer, oder, er sei sein Vorläufer – der
wiedergekehrte Prophet Elia – oder er sei der Prophet, der wieder kehrende Mose
der Endzeit, welcher das Volk aus der Knechtschaft der Heiden in die verheißene
Seligkeit führen sollte.
So haben wir die Frage der
Juden, die sie an Johannes richteten, zu verstehen. Sie wollten die Rolle
wissen, welcher er in diesem Geschehen der Endzeit spielte. Aber warum war denn
diese Frage überhaupt nötig, wo die Juden doch so genau zu wissen glaubten,
welche Rollen allein für Johannes den Täufer in Frage kommen? Warum war die
Frage nötig? Weil Johannes doch nicht so recht hineinpasste in das Stück,
welches sie zu kennen glaubten – weil keine der Rollen, wie sie doch
verzeichnet waren, so ganz und gar mit dem zusammen stimmte, was Johannes tat –
weder mit seinen Worten, noch auch mit seinen Taten so ganz zusammenstimmte.
Darum mussten sie fragen, wer er denn nun eigentlich sei – der Christus, oder
Elia, oder der Prophet. Und jedes Mal verneinte Johannes der Täufer ihre Frage
– er war keiner von denen welche sie erwartet hatte. Warum das? Warum gelang es
den Juden nicht, heraus zu bringen, wer Jesus wirklich war? Seht – wenn wir`s
in unseren Bilde ausdrücken wollen, so müssen wir sagen: Darum wussten sie
nicht, wie das mit Johannes dem Täufer war, weil Gott gar nicht das Stück
spielen ließ, welches sie erwarteten, sondern weil sein Heil ganz anders kam,
als sie das gedachten. Darum konnten sie mit dem Täufer nichts anfangen.
Und es half auch nichts,
dass sie ihm sein Tun verweisen wollten, als sie sagten: Wie kommst du denn
dazu, so zu handeln, wenn du doch keiner von den Genannten bist, nicht der
Christus, und nicht Elia und nicht der Prophet! Das konnte eben nur bestätigen,
was von vornherein deutlich war: Die Juden waren mit Johannes nicht im Bilde,
waren mit dem, was da geschah, nicht vertraut, konnten es nicht verstehen und
begreifen, dass Gott da tatsächlich kam, dass sein Heil wirklich unterwegs war.
Sie konnten das deshalb nicht begreifen, weil es so anders war, als sie das
dachten.
Und diese Leute, das dürfen
wir nicht vergessen, die hatten ja nicht irgendetwas grundlos
zusammenphantasiert. Gewiss nicht! Sie waren bibelfeste Leute, sie kannten sich
aus in den Verheißungen des Alten Testamentes. Wenn sie glaubten, sie wüssten
das Stück – das Geschehen der Endzeit: so waren sie des guten Glaubens, sie
hätten es genau aus der Bibel abgelesen. Sie konnten gewiss alles, was sie
sagten und dachten mit guten und kräftigen Bibelstellen belegen – die Rollen,
nach welchen sie Johannes den Täufer befragten, die waren ja im Alten Testament
vorgegeben. Was die Auslegung der Juden geleistet hatte, war nur dies, hier ein
wenig zu biegen, und dort ein wenig zu vereinfachen und an der und jener
Stelle, da nicht zusammenpassen wollten ein wenig herumzudrücken, um
schließlich einen schön gegliederten Zusammenhang und ein genau auskalkuliertes
System dessen, was kommen würde zusammen zu bringen, nach welchem sie dann die
Geschichte beurteilen wollten.
Gerade dies hatte sie in
Wahrheit blind gemacht. Hatte sie blind gemacht für das, was wirklich kam, so,
dass sie nicht Johannes den Täufer erkennen konnten, und erst recht nicht
Jesus, den wahren Gottgesandten.
Halten wir hier einmal ein
wenig inne, um uns die Warnung, die dieser Abschnitt enthält, recht deutlich
vor Augen zu stellen: Es gibt wirklich ein Wissen, das uns den Blick auf Gott
verstellt, ein Wissen nicht weltlicher Art, sondern ein Wissen, welches auf den
ersten Blick nicht vom Glauben zu unterscheiden ist – und ist doch sein genaues
Gegenteil ist, das Wissen, die verderbliche Sicherheit, der Übermut des
Unglaubens! Seht davor warnt uns
dieser Abschnitt, dass wir
es machen könnten wie die Juden. Dass wir dran gingen, in bestem Glauben, damit
etwas recht Gutes und recht Frommes zu unternehmen, uns ein Stück
zusammenzustellen, welches das zukünftige Geschehen enthält. Mag sein, dass wir
dabei nichts anderes benützen, als nur Bibelworte: Es ist doch eine
schreckliche und unmögliche Verirrung. Und nicht nur Sektenprediger sind es,
die meinen, sie wüssten über die Zukunft Bescheid, die meinen, sie hätten Gott
selber so genau in die Karten geschaut, dass nun gewiss nichts mehr geschehen
könne, was sie nicht wüssten, und dass alles genau so, womöglich auf Tag und
Stunde genau so kommen müsse, wie sie es sich ausgedacht haben. - Warum will
diese Erzählung aus dem Johannesevangelium, dass wir uns ja nicht
hineinsteigern lassen in solche Besserwisserei? Denn wer so denkt, wer so alles
genau im Kopfe hat, der hört nicht und der sieht nicht, der ist taub und der ist
blind. Taub ist er für das, worum es geht, taub dafür, sich wirklich sagen zu
lassen, was gesagt werden muss. Seht – Johannes der Täufer hatte doch etwas zu
sagen, etwas ungeheuer Wichtiges – aber weil er nicht in dem frommen Rollenbuch
der Juden vorgesehen war, darum haben sie nicht auf ihn gehört. Darum war sein
Zeugnis vergeblich, war es vergeblich, dass er sie auf Jesus wies: „Seihe, das
ist Gottes Lamm, welches der Welt Sünde trägt.“ Sie waren taub, zu hören auf
das, was Gott durch seien Boten Johannes zu sagen hatte! Und haben darum Gottes
Kommen versäumt, weil sie vor lauter Herumspekulieren Gottes Wirklichkeit nicht
erkannten.
Und sie waren blind,
unfähig, zu sehen, was wirklich geschah: „Er ist mitten unter euch getreten,
welchen ihr nicht kennt.“ Er, welcher keine der Rollen spielte, welche ihm in
dem endzeitlichen Stück der Juden zugedacht waren, nicht den unbarmherzigen
Richter, nicht den gewaltigen Kriegshelden, nicht den imposanten Herrscher.
Sondern der ganz anders unter sie getreten war, als die das erwarteten.
Werden wir hören können?
Werden wir sehen können? Oder lassen wir Jesus seine Rollen spielen –
Christkind guter Hirte etc. Er kommt. Hören wir den, der hinweist, sehen wir
den, auf den er zeigt?