Misericordias Domini, 28.4.1963 Wolfenhausen / Nellingsheim


80,1-5 Erschienen ist der herrlich (67)

178,1-5 Der Herr ist mein (182)

297,11.12 Herr mein Hirt (241)

88,9.10 Wach auf, mein Herz (4)


Psalm 23

Joh 21,15-17


Liebe Gemeinde!


Als Kinder haben wir das gelernt:


Weil ich Jesu Schäflein bin

Freu ich mich nur immerhin

Über meinen guten Hirten

Der mich wohl weiß zu bewirten

Der mich liebet, der mich kennet

Und bei meinem Namen nennt.


Unter seinem sanften Stab

Geh ich aus und ein und hab

Alle Tage frische Weide

Dass ich keinen Hunger leide

Und so oft ich durstig bin

Führt er mich zum Brunnquell hin.


Sollt ich denn nicht fröhlich sein,

nun ich sein bin und er mein?

Denn nach diesen schönen Tagen

Werd ich endlich heimgetragen

In des Hirten Arm und Schoß

Amen, ja, mein Glück ist groß.


So haben wir gelernt – aber stimmt das? Wird hier nicht ein falsches Bild gezeichnet, von der Wirklichkeit unseres Lebens, in der es nun einmal nicht so einfach und klar zugeht, wie das unser Kinderlied glauben machen will. Wo es nicht alle Tage frische Weide gibt, und nicht jeder Durst sogleich gestillt wird – besonders dann nicht, wenn wir merken, dass dies ja übertragen gemeint ist, von dem Verlangen unseres Herzens nach Glück, nach Leben, nach Trost, nach Hilfe, nach Klarheit und Weisung gesagt ist.
Nein – so einfach, wie uns dies Liedlein glauben machen will, ist es gewiss nicht. Vielmehr sieht es ja oft genug so aus, als gebe es den Hirten nicht, den, der über uns wacht, den, der für uns entscheidet, den, der uns den Weg weist!
Aber ich meine, wir müssten nun doch noch ein wenig tiefer in den Sinn dieses Bildes vom Hirten Jesus und von uns, seinen Schafen, einzudringen versuchen, welches uns ja auch hier begegnet in dem Worte Jesu an Petrus: „Weide meine Lämmer.“ „Weide meine Schafe“. Um was es bei diesem Bild geht, habe ich eben schon angedeutet: Es geht um die rechte Leitung, darum, dass wir geführt werden in den Entscheidungen, welche uns unser Leben auferlegt! Es geht darum, dass wir hier hören, wohin es gehen soll, dass wir hier folgen und so den rechten Weg gehen.

Freilich scheint es nun so, dass wir gerade hier viel zu wenig hörten, als ob wir hier sehr allein gelassen wären. Denn wir kennen wohl die Entscheidungen, welche uns in unserem Leben auferlegt sind – eine Fülle von Entscheidungen, die uns Sorge machen, weil wir nicht wissen, was wir tun sollen – aber es fehlt uns gerade da oftmals die klare Weisung, und wir sehen uns allein gelassen, oder auf den mehr oder weniger passenden Rat von Menschen angewiesen.

Wir fragen, angefangen von den politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen bis hin zu dem persönlichen Bereich unseres Lebens:

Welche Partei soll ich wählen? Soll ich selber mich zu diesem oder jenem Amt in der Gemeinde zur Verfügung stellen? Soll ich aussiedeln? Wie soll ich meinen Betrieb rentabel gestalten? Soll ich bauen? Soll ich hier oder dort mir Arbeit suchen? Was soll ich meine Kinder werden lassen? Welches ist der rechte Ehepartner für mich? – Seht, ich könnte endlos weitermachen mit solchen Fragen, die auf uns zukommen, und die es zu entscheiden gilt. Und wir haben es dabei ja gar nicht in der Hand, dass die Entscheidungen, welche wir hier treffen, nun auch die richtigen Entscheidungen sind.

Wohl! Da hat schon mancher gefragt – hat nicht nur bei Menschen hier oder dort angefragt, sondern hat bei Gott angefragt in seinem Gebet: Herr, was soll ich tun? Aber wie kommt uns denn von dort die Antwort? Woher wissen wir, dass dies oder jenes dann nicht unser Einfall, unser Wille, unsere Entscheidung ist, sondern wirklich Gottes Wille, Führung?

Seht, liebe Freunde! Darum geht es, wenn hier Jesus von seinen Schafen spricht, dass sie nicht hin und her laufen nach ihrem Gutdünken, sondern dass sie geführt sind. Und darum hat er ja dem Petrus bei seinem Weggang aus unserer Welt die Aufgabe gegeben, er solle nun der sein, der führt und die rechten Weisungen gibt – und es haben Petrus und die an deren Apostel Jesu diese Aufgabe wahrgenommen, und mit ihnen und nach ihnen andere, die dazu gerufen waren – Hirten, wie man in Erinnerung an jenes Bild gerne sagte, so, dass Hirte in seiner lateinischen Form Pastor sogar zu einer festen am Amtsbezeichnung geworden ist. Aber nun kann man ja nicht einfach den Pfarrer fragen!

Freilich ist nun mit dem Hinweis auf dieses Amt, das Jesus angefangen und weitergegeben hat, noch gar nichts gesagt. Es liegt uns ja wohl noch jenes dreimalige: Simon, Sohn des Jona, hast du mich lieb? im Ohr, mit welchem Jesus seinen Auftrag an Petrus einleitet. Das ist damit gesagt, dass nur der Hirte der Schafe Jesu sein kann, der diesen Herrn liebt. Freilich, es geht da nicht um ein unklares und unbestimmbares Gefühl, sondern sehr einfach um eine Wahl, um eine Entscheidung, welche vor allen anderen Entscheidungen liegt, die Petrus in diesem Amt noch zu treffen hatte, in welches ihn hier der Herr berief. Es geht darum, dass hier deutlich ist: Nur ein Ziel ist es – wohin dieser Hirte die ihm anvertrauten Schafe hinführen darf – eben diesen Jesus. Damit ist nun getrennt zwischen dem Bereich der Weisung und dem der Entscheidung.

Liebe Freunde! Mit diesem Hinweis ist gewiss noch nicht alles gesagt und erst recht nicht alles getan, aber es ist damit doch schon eines klargestellt: Wie der Grundsatz heißt, nach welchem zu entscheiden ist! Wie das Ziel heißt, zu welchem hin zu rufen ist: Jesus heißt es. Und es ist das ja für euch genauso notwendig zu verstehen, wie für mich, denn dieses, das da einer Hirte ist, Prediger, Lehrer, Berater, der auf die Frage Jesu, ob er ihn lieb habe, antworten kann wie Petrus: „Herr, du weißt alle Dinge, du weißt, dass ich dich lieb habe“ – das ist ja gerade keine Selbstverständlichkeit, und darum müssen die, die da hören, prüfen und unterscheiden können, damit sie nicht in die Irre, sondern auf den rechten Weg geführt werden, zu Jesus hin –oder auch: Jesus nach!

Was heißt das aber? Ich will es zunächst ganz allgemein so ausdrücken: Entscheide dich für die Menschlichkeit! Dann gehst du auf ihn zu, der der Einzige gewesen ist, der wirkliche Menschlichkeit gezeigt hat. Freilich könnt ihr nun mit Recht antworten: Was hilft mir diese schöne Grundsatz bei dem, was ich zu entscheiden habe? Nicht um solche allgemeinen Prinzipien geht es doch, sondern darum, ob ich dies tun soll oder jenes, ob dies besser ist, ob ich mit dem oder jenem mehr Erfolg haben werde!

Liebe Freunde! Ich weiß wohl, dass wir hier vor Entscheidungen stehen, an welchen vieles hängt! Aber gerade darum werden wir zunächst einmal zu begreifen haben, dass es dort, wo es um Jesus geht, gar nicht auf dies Viele ankommt, worauf wir sonst so sehr achten und woran uns so viel liegt. Das sollen wir wissen: Hier wird uns genannt, was für unsere Entscheidung den Ausschlag geben soll: Wenn es ein menschlicheres Leben ist für dich, für deine Frau, auf der Aussiedlung – gut! Aber wenn es da unmenschlich zugehen wird, weil noch und noch und noch gearbeitet werden muss, um mit dem fertig zu werde, was man sich aufgeladen hat – warum muss es dann sein? Denk an den Menschen in dir! Denk an den Menschen bei dir. Damit ist dort entschieden, wo es darauf ankommt. Amen.