Altjahrsabend 1958 Wolfenhausen/Nellingsheim

 

42,1-7        Nun lasst uns gehen und treten

38,1-6        Das alte Jahr vergangen ist

40,3-5        Freut euch, ihr lieben Christen

44,6           Das Jahr geht still zu Ende

 

Ps 90.

Joh 12,44-50

 

Liebe Gemeinde!

 

Wieder ein Jahr zu Ende – ein Jahr unseres Lebens. Das mag uns wohl zu einer Besinnung bewegen. Ein Jahr unseres Lebens zu Ende – das mag uns erinnern daran, dass diese Jahre gezählt sind. Dass es deren gar nicht so viele sind, auch dann nicht, wenn wir das biblische Alter erreichen, die 70 oder wenn es hoch kommt, achzig Jahre. Ein Jahr geht zu Ende – das mag uns dazu bewegen, einmal den Ertrag dieses Jahres zusammenzuzählen. Was ist dabei herausgekommen? Freilich – dann, wenn wir diesen Versuch ernsthaft unternehmen, dann werden wir rasch feststellen, wie schwierig es ist, einen solchen Ertrag zusammenzurechnen. Natürlich, rechnen können wir. Mit Zahlen verstehen wir umzugehen. Aber - lässt sich denn das mit Zahlen ausdrücken, was wir zu wissen begehren? Lässt sich mit Zahlen eine Antwort auf die Frage geben, ob es sich denn wohl gelohnt hat, das Jahr 1958, ob es sich für mein Leben und für dein Leben gelohnt habe? Ob es sich gelohnt habe, dies Jahr 1958, das wir hinter uns gebracht haben. Diese Strecke unseres Lebensweges, die ganz gewiss nicht immer einfach zu gehen war. Was wird bleiben, als ein gültiger Ertrag dieses Jahres? Ein Bauwerk, das wir erstellt haben? Oder ein Besitztum, dessen Wert wir erhöht haben? Bäume, die wir gepflanzt haben? Ein Kind, das uns geboren wurde? – Seht, wenn wir so versuchen die Bilanz dieses Jahres zu ziehen – geraten wir nicht in allerhand Schwierigkeiten? Was bleibt uns denn wirklich, wenn wir zurückblicken auf dies Jahr 1958? Was behalten wir, um es wirklich als Ertrag mitzunehmen in das neue Jahr 1959? Da ist die Freude, die wir erlebten: Wohl uns, wenn sie uns reicher gemacht hat. Da ist der Schmerz, den wir erführen: Wohl uns, wenn er uns reifer gemacht hat. Da ist doch wohl auch ein wenig Gutes, das wir anderen Menschen angetan haben - . Und viel Schuld, die wir auf uns geladen haben. Seht, liebe Freunde, so sieht das wohl aus, wenn wir uns über dies vergangene Jahr Rechenschaft ablegen. Ja, was wird davon bleiben? Was können wir davon zu der Summe dazuzählen, die den bleibenden Ertrag unsers Lebens darstellt? Will uns da, wenn wir ganz ehrlich sind, nicht doch ein Schwindel packen: „Ach wie flüchtig ach wie nichtig ist der Menschen Leben! Wie ein Nebel bald entstehet und auch wieder bald vergeht so ist unser Leben sehet!“

Liebe Freunde! Es geht eigentlich ganz von selber so: Wenn wir uns ehrlich darüber klar zu werden versuchen, was denn bei unserem menschlichen Leben herauskommt, dann stehen wir vor einer beschämenden Leere. Wenn wir über uns selber zu Gericht sitzen - und solche Rechenschaft, wie wir sie an einem Tage wie dem heutigen ablegen über uns selber – sie ist ja so etwas wie ein Gericht, bei dem wir Angeklagter, Zeuge und Richter in einer Person sind: Wer wollte sich in solchem Gericht freisprechen? Wer wollte es fertigbringen, den Ertrag seines Lebens zu preisen?

Doch nun erfahren wir heute in den Worten Jesu eine sehr tröstliche Wahrheit: Seht, er will nun nicht auch noch anfangen, und über uns zu Gericht sitzen. Er will nicht auch noch kommen mit seinem Wort, und uns die Frage vorlegen. Was hast du denn gemacht aus diesem vergangenem Jahr 1958, aus diesem Jahr deiner Lebenszeit, die dir von Gott anvertraut war. Nicht richten will er uns, will uns nicht hineinstoßen in unsere Nichtigkeit, will uns nicht verurteilen und verdammen, wo wir uns doch schon ohnehin schuldig bekennen müssen. Nein! Er tröstet uns: „Ich bin nicht gekommen, dass ich die Welt richte, sondern dass ich die Welt rette.

Seht, das gilt es nun zunächst einmal richtig zu begreifen und zu ergreifen, was uns damit gesagt ist. Was für eine fast unergründliche und helfende Wahrheit uns da entgegentritt: Da ist der uns nahe, der von sch gesagt hat: „Ich bin das Licht der Welt; wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“

Seht – meinen wir nicht alle, wir wüssten über uns selber Bescheid? Meinen wir nicht alle, wir stünden wahrhaft im Lichte, im Lichte unserer Selbsterkenntnis?

Meinen wir nicht alle, wir seien so ehrlich gegen uns selber, dass wir wenigstens uns nichts vormachten, auch da, wo wir den anderen einmal ein wenig Sand in die Augen streuen? Aber stehen wir den wirklich so im Licht? Stehen wir im Licht wenn wir Rechenschaft über uns selber ablegen? Stehen wir im Licht, wenn wir uns selber möglichst hart behandeln, wenn wir die Schuld, wenn wir die Nichtigkeit, wenn wir die Sinnlosigkeit unseres Lebens einmal zugeben – zugeben vielleicht gerade angesichts des Todes? Seht – auch das ist noch Lüge! Auch das ist noch Finsternis! Meinen wir denn, wir seien der Wahrheit näher wo wir uns einer Friedhofstimmung hingeben? Wenn wir feststellen, es komme doch nichts Gutes heraus in unserem menschlichen Leben? Meinen wir, wir seien dann der Wahrheit näher, als wenn wir gar nichts denken, als wenn wir uns weiter tragen lassen von unserer alltäglichen Geschäftigkeit, als wenn wir dem näher sinnen, wie wir es in dieser Welt zu etwas bringen können? Nein! Auch da ist, mit Jesu Worten ausgedrückt Finsternis, ist Lüge wenn wir so, anscheinend ganz nüchtern, ganz ehrlich, ganz ohne Illusionen, uns bemühend, Rechenschaft abzulegen. Nein! Wenn wir bei uns selber bleiben, wenn wir mit uns selber zu Rate gehen – dann stecken wir immer noch drinnen in unserer Finsternis und wer das nicht zugeben möchte, der ist ein rechter Münchhausen, der behauptet, er könne sich an seinen eigenen Haar aus dem Sumpf herausziehen, in dem er drin steckt.

Es gibt nur eine Wahrheit für uns; es gibt nur ein Licht für uns, den, der von sich gesagt hat: „Ich bin gekommen in die Welt ein Licht, damit, wer an mich glaubt, nicht in der Finsternis bleibe.

Seht – nicht bei uns selber finden wir die Wahrheit. Nicht bei uns selber kann es uns gelingen, die Wirklichkeit unseres Menschenwesens zu erfassen. Nicht bei uns selber können wir das Urteil finden über Sinn und Unsinn unseres Lebens. Nur dort, wo wir Gott begegnen, begegnen wir der Wahrheit. Nur dort, wo wir Gott begegnen, da begegnen wir der nackten, unverstellten Wirklichkeit auch unseres Menschseins. Nur dort sehen wir die Wahrheit vor Augen, wo wir den vor Augen sehen, der von sich sagt: „Wer mich sieht, der sieht den, der mich gesandt hat.“ Dass wir ihm doch begegne möchten, ihm heute, an diesem Abend begegnen möchten – ihm und seiner Wahrheit, die uns ins Licht zu stellen vermag.

Seht, das ist Jesus, der sagt. „Ich habe nicht von mir selber geredet; sondern der Vater, der mich gesandt hat, der hat mir ein Gebot gegeben, was ich sagen und reden soll. Und ich weiß: Sein Gebot ist das ewige Leben.

Das müssen wir zu verstehen suchen, was denn mit diesem Gebot des Vaters gemeint ist, von dem Jesus hier redet. Denken wir einmal nicht an die Gebote, die Mose am Berg Sinai dem Volke Israel gegeben hat. Nehmen wir einmal, um es zu begreifen, was Jesus sagt, statt des Wortes „Gebot“ das Wort „Auftrag“. Seht – dieser Auftrag des Vaters, den Jesus tut, der ist das ewige Leben. Denn in diesem Auftrag, da ist Jesus ja … er selber, der seine eigenen, menschlichen Gestalt, die Gottes Wirksamkeit gewonnen hat. Darum kann Jesus mit Recht sagen, so ungeheuerlich das auch für jüdische Ohren geklungen hat. „Wer mich sieht, der sieht den, der mich gesandt hat.“ Jesus konnte das sagen, weil er nichts kannte außer dem Gebot, den Auftrag des Vaters, der ihm geworden war.

Darum ist er ja, ist dieser Mensch mit seinen ganz und gar menschlichen Leben, eins geworden mit der göttlichen Wirksamkeit. Darum hat er in des Vaters Auftrag das ewigen Leben gewonnen. Denn was er gewirkt hat in seinem Menschenleben, in seiner Menschenzeit, das war ja eben nicht Menschenwerk, sondern das war ewiges, es war bleibendes Gotteswerk. Beachten wir das wohl, was wir hier an Jesus vor uns sehen. Denn sein Auftrag, sein Gebot, das ihm der Vater gegeben hat, das zielt ja auf uns. Es zielt ja auf unser Leben, auf das Gebot, das uns gegeben ist. Liebe Freunde! Das ist das Licht, das über unser Leben leuchten soll, dass wir erkennen, wie wir hier aufgerufen sind, Jesus nachzufolgen, wie wir aufgerufen sind, das Gebot, das uns der Vater gegeben hat, seinen Auftrag für uns zu erfassen. Merken wir es wohl: Gott will durch uns wirken! Gott will unser menschlichen Leben zu einem Stück seiner göttlichen Wirksamkeit machen. Er will, dass wir die Jahre unsres Lebens nicht Menschenwerk treiben, sondern Gotteswerk. Darauf kommt es an, dass wir unseren Auftrag richtig erfassen! Darauf kommt es an, dass wir uns in die göttliche Wirksamkeit einfügen lassen. Denn dort stehen wir im Licht, dort stehen wir in der Wahrheit, wo wir leben als Gottes Werkzeuge. Ich bitte euch, jetzt nicht bei diesem Auftrag Gottes an seltsame und absonderliche Dinge zu denken. Vielleicht habt gerade ihr Bauern es gar nicht so schwer, zu merken, wie Gott durch euch wirken möchte. Dazu lebt ihr, dass ihr den Menschen, die Gott liebt, das Brot schaffen könnt.

Freilich – niemand wird gezwungen, dies Licht, diese Wahrheit, anzunehmen. Ihr könnt euren Acker bauen, um reich zu werden. Aber dann steht ihr da im Gericht des Wortes! Wir haben die Wahl: Gottes oder unser Leben! Amen.