Karfreitag, 31.3.1961 Wolfenhausen/Nellingsheim

Chor: O Lamm G.

62,1-4 Ein Lämmlein geht (63)

Chor 60,1-6 Herzliebster Jesu (108)

64,8.9 O Welt, sieh hier(214)

62,5 Ein Lämmlein geht(63)


Titus 2,11-14

Matth. 27,31-56



Liebe Gemeinde!

Wir alle sind es zwar gewöhnt, vom Kreuz zu sprechen, von dem Kreuz, das ein jeder zu tragen hat, davon, dass es ein rechtes Kreuz sei mit diesem oder jenem - wir sind es so gewöhnt, recht allgemein und vielleicht oft ein wenig leichtfertig und obenhin vom Kreuz zu reden. Aber wir wissen doch genau, dass Jesu Kreuz noch etwas anderes gewesen ist als das, was wir unser Kreuz nennen, dass Jesus Kreuz noch etwas anderes gewesen ist als das, was wir, jeder an seinem Ort, durch machen müssen. Sehen wir, wie er uns hier vor Augen gestellt wird, der Rohheit seiner Henker ausgeliefert, welche zunächst einmal ihren Spott mit ihnen getrieben haben, ihn als einen lächerlichen Judenkönig heraus staffiert haben mit Dornenkrone und Rohrstab und einem roten Mantel, die ihn zerschlagen haben, und ihn nun den Weg nach Golgatha, nach dem Galgenberg, geschleppt haben. Sehen wir das Grausame seines Sterbens an, eines langsamen und qualvollen Sterbens, und das in voller Öffentlichkeit, allen Vorübergehenden zur Schau gestellt. Es mag einem wohl heiß ums Herz werden, wenn er sich die Qualen vorstellt, welche Jesus erdulden musste, bis ihm dann die erlösende Todesstunde schlug. Aber freilich – nicht diese schrecklichen Qualen des Leibes sind das Besondere an seinem Sterben. Gekreuzigt wurden damals noch viele andere – z.B. die zwei Mörder, welche zur Linken und zur Rechten Jesu hingen; und sie waren nicht die Einzigen. Die Römer haben in Palästina mehrmals hunderte von Kreuzen aufgerichtet, um aufrührerische Juden daran hinzurichten – wir mögen uns wohl das schreckliche und grausame des Leidens Jesu vorstellen, seiner Qualen, die er erleiden musste, und vielleicht erscheint uns dann doch das, was wir unser Kreuz heißen, als eine vergleichsweise recht unbedeutende Sache. Aber, wie gesagt, nicht diese schrecklichen leiblichen Qualen sind das Besondere des Kreuzes Jesu. Das machen uns auch die Evangelien recht deutlich, welche ausdrückliche von diesen Qualen gar nicht reden – das mag sich jeder selber ausmalen – die aber ein anderes beschreiben und deutlich machen, die Qualen der Seele, welche Jesus erdulden musste, da er am Kreuze hing. Die Spötter, die da vorbeigingen, und mit diesem Menschen in seiner bittersten Todesnot ihr grausames Spiel trieben, die wussten sie ja wohl, wie sie ihn treffen konnten: „Bist du Gottes Sohn, so steige herab vom Kreuz.“ Und erst recht seine bittersten Feinde, die Hohenpriester, die Ältesten des jüdischen Volkes, die Schriftgelehrten – sie wussten wie sie ihn treffen konnten: „Ist er der König Israels, so steige er nun vom Kreuz, so wollen wir ihm glauben. Er hat Gott vertraut, der helfe ihm nun, hat er Lust zu ihm!“

Seht – das wird uns berichtet, dieser Spott der Gegner Jesus, welche genau wussten, wie sie ihn treffen konnte. Und denken wir ja nicht, sie hätten ihn nicht getroffen, es seien diese Worte spurlos an seinem Geist vorbeigegangen. Darauf, wie sehr sie ihn getroffen haben, diese Worte, weisen uns seine Worte hin, die schrecklichen Worte seines letzten Schreies: „ Mein Gott, mein Gott – warum hast du mich verlassen.“

Sehen wir wohl zu, was das heißt, liebe Freunde! Sie hatten schon recht auf ihre Weise mit ihrem Spott, die Gegner Jesu. Hatten schon recht, wenn sie meinten: Jetzt kommt die Probe, ob Jesus recht hatte mit seinem Anspruch. Ob er recht hatte mit dem, was er immer behauptete und vertrat: Es sei Gottes Wille wenn er, Jesus, predige, wenn er, Jesus, helfe, wenn er, Jesus, Sünden vergebe, wenn er Jesus, den Verachteten, den Missetätern, den Bösewichten, den Eingang ins Himmelreich verheiße. – Ich sage, sie hatten schon auf ihre Weise recht, wenn sie sagten: Er hat Gott vertraut, der helfe ihm nun, hat er Lust zu ihm. Denn wenn Gottes Wille war, was Jesus tat, durfte es dann so kläglich enden? Wenn Jesus im Auftrage Gottes gekommen war, durfte er dann mit so einem offensichtlichen und kläglichen Misserfolg aus dieser Welt gehen als ein Verbrecher hingerichtet?

Sie sagten, die Gegner Jesu, jetzt müsse es sich spätestens zeigen – und wenn er ihren Worten willfahrt hätte, wenn er vom Kreuz herabgestiegen wäre – gewiss hätten auch sie dann ihr Wort wahr gemacht, und hätten ihm geglaubt, wären seine Anhänger geworden.

Ich sage: Jesu Gegner hatten schon ihren Grund, wenn sie ihn verspotteten, und es war gar nicht so dumm, sondern im Grunde recht klar und einleuchtend, was sie vorbrachten. Jesus hatte behauptet, er sei es, der Gottes Willen vollbringe. Und – wenn Gott wirklich Gott ist, wie sollte es dann etwas geben, das seine Willen hindern kann? Wie sollte darum Jesu Tod am Kreuz zusammenstimmen mit den großen Worten, die er Zeit seines Lebens gesagt hatte?

Seht – das haben sie ihm vorgehalten: Er hat Gott vertraut, der helfe ihm nun, hat er Lust zu ihm. Und wir könne diesen Satz ja leicht vollends bis zu seinem Ende fertig machen: und wenn ihm Gott nicht hilft, dann ist es ja erwiesen, dass sein Gottvertrauen nur leere Einbildung und Verstiegenheit war, dass er nur von sich behauptete, durch ihn rede Gott und durch ihn handle Gott.

Das steckte in dem Vorwurf drin, welchen die Gegner Jesu ihm machten, jetzt, da er unter den schrecklichsten Qualen des Leibes da hing, ein Sterbender. Jetzt hielten sie ihm vor: Ein Schwindler bist du gewesen, ein eingebildeter Mensch, einer, der sich als Gottes Sohn ausgab, und ist`s doch nicht gewesen. Jetzt zeigt sich`s – jetzt, da du von Gott verlassen bist. Weil du von Gott verlassen bist, ist`s nichts mit dem, was du gesagt und getan hast, war es alles miteinander, von Anfang bis zum Ende, Betrug und Anmaßung.

Liebe Freunde! Das müssen wir ermessen, was in diesen Worten der Spötter angedeutet ist, um uns die tiefste Qual Jesu klarzumachen: Diese, dass sie ihm vorwarfen, es sei alles umsonst, was er getan habe, was er erlitten habe und noch erleide – denn Gott sei nicht mit ihm. Es sei alles umsonst, - das war die letzte, die tiefste Qual, welche Jesus auskosten musste, die Qual, die sich in seinem verzweifelten Schrei Luft machte: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen.“

Seht: wo wir das nicht begreifen, wo nur auf das leibliche Leiden Jesu sehen, auf die Dornenkrone, und auf die Nägel, auf die Schläge, auf den Durst, auf die schrecklichen Schmerzen – ich sage, wo wir nur auf dieses leibliche Leiden Jesus schauen, da haben wir die Tiefe seines Leidens noch nicht begriffen. Wir müssen gerade dies andere sehen, müssen gerade die Qual der Gottverlassenheit sehen, welche durch die spöttischen Worte seiner Gegner immer tiefer in Jesu Seele gedrückt wurde, um das Leiden Jesu – wo nicht zu begreifen, so wenigstens zu erahnen. – Dies nämlich, dass es doch alles umsonst gewesen sei, dies, dass er vergeblich auf Gott vertraut, dies, dass er vergeblich sich auf Gott berufen habe. Dass es gar nicht helfe, was er tat, sondern dass er nicht nur ein von Menschen verurteilter Verbrecher, sondern ein Gott verdammter Sünder sei!

Freilich, liebe Freunde, wer wollte es sich anmaßen, sich so sehr ganz und gar in Jesus hineinzudenken, in das, was er empfinden musste in jenen Stunden seiner bittersten Not. Vielmehr: Wir sollen sehen, dass gerade damit Gott doch bei ihm gewesen ist, und gezeigt hat, dass er wirklich Lust zu ihm, zu Jesus hatte, zu ihm und zu allen, welche bei ihm Heil und Rettung und Seligkeit suchen. Seht: Das war Jesu Werk, für die Sünder einzutreten – an ihre Stelle zu treten für sie hinzustehen, vor Menschen und vor Gott hinzustehen. Und indem sei ihm Böses anzutun glaubten, seine Feinde, haben sie es doch gerade so weit gebracht, dass er wirklich ein Verurteilter und ein gottverdammter Mensch wurde – und so gestorben ist, wie er es wollte. So hat er sein Werk zu Ende gebracht, liebe Freunde – sein Werk, indem er für die Verurteilten und Verdammten einstand.

Freilich, damit, dass er`s zu Ende brachte, in Qual und Not und in der tiefsten Gottverlassenheit zu Ende brachte, ist es noch nicht zu Ende, dies Werk. Vielmehr, es will mit uns und an uns geschehen. Wenn wir verzweifeln wollen – er hat`s für uns getan, damit wir nun Zuversicht schöpfen können. Wenn wir uns von Gott verlassen glauben: Er hat dies Gottverlassenheit durchgestanden, damit wir neues Gottvertrauen fassen können. Das ist seine Herrlichkeit und nirgends anders finden wir sie als dort, in der qualvollen Erniedrigung seines Todesschreies. Amen.