Karfreitag, 27.3.1986 Nachmittag, Mühlhausen


Herr Gott, himmlischer Vater,


du hast uns so geliebt, dass du deinen Sohn um unserer Sünde willen in den Tod gegeben hast.

Herr Jesus Christus,

du bist den bitteren Tod gestorben, damit wir in deiner Gemeinschaft das ewige Leben haben,

Herr Gott, heiliger Geist,

du tröstest uns in der Not unserer Sünde und in der Todesangst durch das heilige Evangelium.

Gib uns offene Herzen und lass uns dir vertrauen im Leben und im Sterben. Du treuer Gott – Du verlässt uns nicht. Amen


Mt 27,45-51


Liebe Gemeinde!


Jesus in seiner Todesstunde zu begleiten, dazu sind wir zusammengekommen. Es ist gut, wenn ein Mensch nicht ohne Geleit sterben muss, wenn andere mit dabei sind, ihm die Hand halten, ihm die trockenen Lippen anfeuchten, ihm ein Sterbelied, ein Gebet vorsprechen. Es ist gut, wenn einer nicht allein ist, dort wo er zum Sterben gekommen ist.

Wir wollen Jesus in seiner Todesstunde begleiten. Und wissen doch sehr wohl: dieses Geleit, das wir einander geben können, diese Hilfe, die ich erwarte, wenn es einmal mit meinem Leben zu Ende geht, er hat sie nicht gehabt. Wenn wir jetzt an sein Sterben denken, dann laufen unsere Gedanken hin und her. Wir denken an das Serben, wie wir es selbst schon erlebt haben. Ich habe meinen Vater vor Augen, wie er mit dem Tod gekämpft hat, lange und schwer. Ich denke daran, wie ich die Hand festgehalten habe, die unruhig auf der Bettdecke hin und her fuhr. Ich denke daran, wie ich ihm vorgesagt und vorgesungen habe, was er selbst nicht mehr sagen und singen konnte: Vater im Himmel, in deine Hände befehle ich meinen Geist. Du Herr, hast mich erlöst, du treuer Gott, dir befehle ich meinen Geist!“

Wie wird mein Sterben sein? Auch daran denke ich, jetzt, wo es doch gar nicht so sehr um das Sterben überhaupt geht, um unser Sterben, um den Tod, den ich vor mir habe, den jeder von uns vor sich hat. Sondern wo wir seinen Tod bedenken.

Sicher, wenn wir ihm, wenn wir Jesus, wenn wir unseren Heiland jetzt in seiner Todesstunde geleiten, dann so, dass wir die Erfahrung mitbringen, die jeder von uns selbst mit dem Sterben, mit dem Tod schon gemacht hat: Mit dem Tod anderer Menschen, mit der Nähe des eigenen Todes.

Auch P. Gerhardt hat das ja so gemacht in seinem Passionslied: „Ich will hier bei dir stehen, verachte mich doch nicht; von dir will ich nicht gehen, wenn dir dein Herze bricht, wenn dein Haupt wird erblassen, im letzten Todesstoß, als dann will ich dich fassen in meinen Arm und Schoß“ So, im Gedanken an unsere Erfahrung mit Sterben und Tod, im Gedanken an das eigene Sterben und den eigenen Tod, so geleiten wir nun unseren Heiland, geleiten wir Jesus in seiner Todesstunde.

Und wir wissen doch: anders, ganz anders war dieser Tod, als wir uns unseren Tod wünschen: grausam und brutal wurde er umgebracht.

Zur Schau gestellt wurde er in seinem Sterben – Gegenstand der Sensationsgier, des Hasses, des Spottes, bis zuletzt. Ein Tier, ein angeschossenes Reh, es verkriecht sich, um zu Sterben. Er ist in seinem Sterben ausgestellt worden, unmenschlich. Mit seiner Qual haben sie ihren Spott getrieben: Als er rief – Eli, Eli, lama asabthani, mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen, da mussten sie noch einen schlechten Witz draus machen: Halt, lass sehen, ob Elia komme und ihm helfe. Ganz anders, als ich mir mein Sterben denke, ist dieses Sterben, ist dieser Tod gewesen.

Wir geleiten Jesus in seiner Todesstunde mit unseren Gedanken. Wir sehen dieses Sterben vor uns. So kennen wir ihn, Jesus, unseren Heiland. So hat sich uns sein Bild eingeprägt: Wie er am Kreuz hängt.

Ausgestellt, zur Schau gestellt in der Qual seines grausamen Todes. Vielleicht haben wir uns schon fast zu sehr an dieses Bild gewöhnt, und empfinden kaum mehr, was ein solches Sterben gewesen ist. Wenn ich von Erlangen herausfahre mit dem Auto, und in Kosbach ankomme, wo ich wohne, dann fällt mir da jedes Mal vor einem Bauernhaus ein Kruzífix ins Auge.

Vor einiger Zeit ist der Leib des Gekreuzigten neu vergoldet worden, und strahlt nun im Glanz der Sonnenstrahlen, hell und leuchtend.

Soll ich sagen: Das ist gut so? Es ist gut so, wenn das Auge auf den Gekreuzigten fällt; es ist gut so, wenn sich dieses Bild einprägt! Es ist gut so, wenn ich sehe: kostbar ist dieses Sterben, kostbarer als alles Gold, mit dem einer das Bild des Gekreuzigten schmücken kann.

Wir geleiten den Heiland mit unseren Gedanken, jetzt in seiner Todesstunde.

Ihm beizustehen in seinem Sterben, bei diesem grausamen Tod – das kann nur in Gedanken sein; das wissen wir wohl. Und wo wir gewesen wären, in seiner Todesstunde, wenn wir damals gelebt, wenn wir damals zu seinen Jüngern gehört hätten – ich weiß es nicht. Es waren viele Frauen da, die von Ferne zusahen, die Jesus nachgefolgt waren – so schreibt Matthäus. Die Männer waren anscheinend nicht da, waren zu schwach, zu furchtsam, damals, um ihren Meister zu geleiten. Ihm, unserem Heiland beizustehen in seiner Todesstunde, das kann nur in unseren Gedanken geschehen.

Und diese Gedanken kommen an ihre Grenze, wenn wir fragen: Wie ist ihm denn zumute gewesen in dieser letzten Stunde. Da ist der laute Schrei: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen! War das ein Schrei der Verzweiflung? Wir wissen, diese Worte sind der Anfang des 22. Psalms. War es also ein Gebet, mit dem er gestorben ist? Ich weiß es nicht. Jesus schrie abermals laut und verschied.

Und dann berichten uns die Evangelisten: „Der Vorhang im Tempel zerriss in zwei Stücke, von oben an bis unten aus.“ Dieser Vorhang trennte das Heilige vom Allerheiligsten, wo Gottes Gegenwart besonders deutlich gewesen ist – so glaubten sie damals. Jesus ist im Tod da hineingegangen, zu Gott.

Wir geleiten ihn in seiner Todesstunde mit unseren Gedanken. Diese Gedanken sind bei ihm. Und es ist gut und richtig, wenn sie dabei auch das eigene Sterben mitbedenken. Wie es sein wird, mein Sterben – ich weiß es nicht. Ob mich vertraute Menschen geleiten – ich weiß es nicht. Ob es ein jähes und unvermutetes Sterben sein wird – ich weiß es nicht. Ob es sich lange vorher ankündigt, und ich Zeit habe, darauf zu warten – ich weiß es nicht. Aber dies weiß Ich: Allein brauche ich nicht zu sterben. Er ist bei mir.

Wenn mein Stündlein vorhanden ist, und soll hinfahren mein Straße, so g`leit du mich Herr Jesu Christ, mit Hilf mich nicht verlasse, mein Seel an meinem letzten End befehl in dir in deine Händ – du wollst sie mir bewahren.“

Sein Tod ist unser Leben – dieser kostbare Tod. Dass er so grausam zur Schau gestellt wurde in seinem Sterben: Um unsertwillen ist das geschehen. So hat er uns sein Bild gelassen, als Hilfe und Trost in unserer Todesstunde: „Wenn ich einmal…“ Amen.



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