13. n. Trinitatis 8. September 1963 Wolfenhausen / Nellingsheim

 

143,1-3  o Gott, du höchster (102)

244,1-5  Ich ruf zu dir (120)

254,6+7  Ich will dich lieben (124)

217,6+7  Herz und Herz (109)

 

Jes 58,7-11

Mt 6,1-4

 

Herr Gott, himmlischer Vater!

Du willst, dass wir dir mit ganzem, ungeteiltem Herzen anhängen. Du willst, dass wir dir willig gehorchen ohne Heuchelei, weil du es bist, der uns gebietet. Wir aber sind unwillig, wenn unser Opfer verlangt wird, und achten auf uns selbst und auf unsere Ehre, statt auf die Nächsten, auf die dein Wort uns hinweist. Herr, vergib uns diese Schuld! Wir danken dir, dass du uns geschaffen hast und bis heute erhältst. Wir danken dir für die Menschen, die du uns zugesellt hast, und von denen wir schon viel Freundlichkeit empfangen haben. Wir danken dir für dein Wort, das uns freispricht von unserer Schuld. Gib du, dass wir nicht nur mit Worten danken, sondern unsere Dankbarkeit erweisen mit unserem Tun – durch unsern Herrn Jesus Christus.

 

 

Liebe Gemeinde!

Versuchen wir einen Augenblick, uns den Brauch vorzustellen, welchen Jesus mit seinen Worten vor Augen hatte: Wenn sie damals zum Gottesdienst in ihren Synagogen zusammen gekommen waren, dann gehörte dazu auch das Almosen – das Opfer, wie wir heute sagen würden. Das hat aber nicht jeder für sich heimlich in die Opferbüchse am Ausgang gesteckt, sondern sie sind einer nach dem anderen vorgetreten und haben die Summe genannt, die sie gaben. Wie würde das bei uns aussehen? Ist es nicht selbstverständlich, dass jeder von vorneherein sein Möglichstes getan hat, um sich nicht zu blamieren? Mit 10 oder 50 Pfennig oder einer Mark konnte da keiner Staat machen – und sie haben das auch nicht so aufgefasst, sondern jeder setzte seine Ehre dran, dass er einen ordentlichen Betrag zu nennen hatte. Wer besonders viel gab, der wurde heraus gerufen an den Platz, der unserer Kanzel entspricht, und damit ihn auch jeder sehen konnte, und der Mesner blies in ein Horn, um vor Gott und den Menschen anzuzeigen, dass gerade eine besonders fromme Gabe gegeben worden war. Wir können uns wohl vorstellen, wie einer, der nicht gerade gut dran war, Wochen und Monate sparte und zusammen legte, um einmal dieser Ehre teilhaftig zu werden, und wie sie nachher auf den Gassen darüber redeten!

Heuchelei war das nach Jesu Urteil, und wir sind gleich bereit, dem zuzustimmen und uns über solche Heuchelei zu entrüsten. Denn was tut einer schon mit einer solchen Gabe? Sieht es nicht aus, als ob er sich da eben Ehre und Ansehen erkauft mit seiner Gabe, die nun in seinem Tun einen ganz anderen Zweck bekommt, als die Dankbarkeit Gott gegenüber auszudrücken, oder den Menschen zu helfen, für welche sie bestimmt ist. Jawohl – so urteilt Jesus: Sie haben ihren Lohn dahin! Sie erreichen, was sie beabsichtigen – und damit gut.

Liebe Freunde! Das verstehen wir alles sehr genau, begreifen beispielsweise, was die Leute in der Synagoge dazu brachte, diese Art des Opferns einzuführen: Da kommt gewiss ein anderes Geld herein als bei unserem Brauch! Wir begreifen die Leute nur zu gut, die sich willig diesem Brauch unterordneten – denn der rechnet ja gerade mit der menschlichen Eitelkeit! Und – war den Armen damals nicht gerade so geholfen, ob nun einer ihretwillen, oder ob er um seiner eigenen Ehrung willen seinen Betrag gab? Aber nicht um die, welche da etwas bekommen sollten, geht es Jesus ja, es geht ihm vielmehr um die Anderen, die Geber, die sich selbst um den eigentlichen Gewinn ihrer Gabe bringen! Heuchler heißt sie Jesus, und wir stimmen diesem Urteil gerne zu.

Aber gerade da wird’s nun gefährlich, liebe Freunde! Gefährlich für uns. Heuchler – das wollen wir nicht sein, das ist hässlich, das ist verabscheuungswürdig, und religiöse, fromme Heuchelei erst recht. Wenn schon geheuchelt sein muss – das überlassen wir lieber den Katholiken, die dafür ja unter den Evangelischen verschrien sind – ob zu Recht oder Unrecht, das geht uns hier nichts an. Nein! Diese fromme Heuchelei, in die wollen wir nicht geraten – lieber opfern wir gar nichts! Das ist nämlich, wenn ich recht sehe, unsere Gefahr! Wir hören das Wort Jesu nur halb – und diese Hälfte verstehen wir recht gut. Aber es heißt nun einmal nicht so: „Habt acht auf eure Frömmigkeit, dass ihr die nicht übt“ – Und es wird nicht nur die Heuchelei des synagogalen Brauches angeprangert, Jesus gibt vielmehr sehr genaue Anweisung dafür, wie ein rechtes Almosengeben aussehen muss! „Wenn du aber Almosen gibst, so lass deine linke Hand nicht wissen, was die rechte tut, auf dass dein Almosen verborgen sei; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir’s vergelten!“

Damit aber sind wir jetzt erst bei der eigentlichen Schwierigkeit angelangt, die durch Jesu so seltsames Wort angedeutet ist – lass deine linke Hand nicht wissen, was deine rechte tut! Stellen wir uns einmal vor, wir hätten den besten Willen zu opfern! Wir wollten es machen wie die Heuchler in den Synagogen, und unsre Ehre drein setzen, wirklich zu geben, was uns möglich ist: Wir wollten uns aber darin von diesen Leuten unterscheiden, dass wir unsere Gabe heimlich geben und es gewiss nicht an die große Glocke gehängt haben wollen, was wir da tun.  Hätten wir dann Jesu Wort erfüllt?

Nein! Wir selber, wir wüssten ja Bescheid. Wir selber, wir wüssten: Ich habe gegeben, viel gegeben, mehr als der und der, welcher damit große Worte macht. Ich bin fromm, frömmer als der – ich gebe nicht nur, nein, ich behalte auch für mich, welches Opfer ich gebracht habe. Aber so meint es ja Jesus gerade nicht: Wenn die linke Hand nicht wissen soll, was die rechte tut, heißt das nicht geradezu: Der, der da ein Almosen gibt, der soll so dabei sein, dass er’s gar nicht merkt, was er tut.

Liebe Freunde: Gewiss können wir uns vorstellen, dass einer bei einer Sache so dabei ist, dass er gar nicht mehr bemerkt, was er tut, wie die Zeit vergeht, wie er sich Mühe gibt, bis es dann soweit ist und man aufatmen kann: Jetzt ist es gelungen, jetzt habe ich es geschafft. Wir wissen, wie das ist, so bei einer Sache dabei zu sein! Aber kann man das befehlen? Kann man befehlen: Vergiss dich, denk nicht mehr an dich, an dein Tun? Kann man befehlen: Jetzt lass einmal nur allein die Sache gelten, die geschafft werden muss? Muss das nicht von selber kommen, von innen heraus, so, dass einer gar nicht anders kann?

Wir können es uns daran klar machen, was Jesus meint mit seinem Wort, dass die linke Hand nicht wissen soll, was die rechte tut. Aber ist uns damit gedient, dass uns das befohlen wird, diese Selbstvergessenheit, die nur noch kennt, was getan werden muss, und nicht mehr zurück blickt auf sich selber, auf den, der tut? Ist es nicht besser, da wir uns nun einmal anscheinend schwer tun, fromm zu sein, so fromm zu sein, dass wir gar nicht merken, wie wir’s sind, lieber gar nichts zu tun, beispielsweise jenes rechte, gewichtige Opfer, welches Jesus vor Augen hat, lieber ganz bleiben lassen, und uns mit den paar Pfennigen begnügen, die wir ja sowieso unter einem Almosen verstehen?

Liebe Freunde! Das will Jesus schon, uns mit diese seinen Worten ins Gedränge bringen, dass wir zwar zugeben, ganz gewiss: Das wäre die rechte, die beste Frömmigkeit, wo einer gar nicht merkt, dass er fromm ist und es daher erst recht nicht die anderen merken lässt. Das wäre die rechte Hilfsbereitschaft, dass einer gar nicht merkt, dass er hilfsbereit ist, und es darum denen auch nicht hinreibt, die von seinem Tun Gewinn haben! Jawohl: Wir sollen ins Gedränge kommen durch Jesu Worte, die uns das zeigen, dass das so recht ist, und die uns zugleich zeigen, dass wir gar nicht so sind. Aber nicht darum wollen uns diese Worte Jesu so ins Gedränge bringen, dass wir dann den bequemen Ausweg wählen: Es geht ja auch ohne, ohne Opfer, ohne Frömmigkeit, ohne Hilfsbereitschaft! Es gibt nämlich den anderen Ausweg auch, den wir schon im Vorbeigehen in den Blick nahmen, den Weg zur Sache! Diese Sache, der sich die Frömmigkeit widmet, das ist Gott. Gottes Gabe – kennen wir sie, sind wir dafür dankbar? Gottes Geduld, achten wir sie? Merken wir wirklich nichts davon? Was haben wir schon bekommen – von Gott – und wohl durch Menschen. Und sollten es nicht weitergeben wollen? Fromm sein – das heißt anfangen, fromm zu werden. Amen.