Rogate, 13.5.2007 Hambühl/Stübach

 

Mat. 6.7 – 13

 

Liebe Gemeinde!

 

Das Vaterunser gehört wohl zu den bekanntesten Worten überhaupt. Mindestens die Christen lernen es. Ich hatte einmal im Religions- und dann im Konfirmandenunterricht einen Buben, der sehr schwach war; das wusste das ganze Dorf. Er saß halt drin in der Klasse, und mit Lesen und Schreiben war da nicht viel los. Jede Religionsstunde, zweimal die Woche, habe ich mit ihm das Vaterunser gesprochen, und als er in den Konfirmandenunterricht kam, auch da noch. Das ging fast fünf Jahre so, Woche für Woche. Aber als dann die Konfirmation kam – in Württemberg wurde da das Konfirmationsbüchlein abgefragt, - da hat der Heinz Weiß ganz allein das Vaterunser hergesagt, und ich musste ihm nur einmal weiterhelfen. Ich weiß nicht, ob er es heute noch kann. Aber damals war es richtig stolz darauf, dass er das geschafft hat.

 

Wir haben es gelernt, das Vaterunser zu beten. Und es ist gut, wenn wir das dann Wort für Wort im Kopf haben. Das ist freilich so eine Sache: Wir wissen, dass die Katholiken den Schluss, den wir gewohnt sind, weglassen. Da muss man aufpassen beim gemeinsamen Beten. Und in den letzten Jahrzehnten hat es auch sonst einige kleine Veränderungen gegeben. Sicher ist das gut gemeint und soll ein gemeinsames Sprechen ermöglichen. Aber das verlangt dann ja auch, dass ich bei solchem gemeinsamen Beten besonders aufpassen muss, weil der Text, der Wortlaut eben anders ist, als ich das gelernt habe. Ich will nun nicht die einzelnen Textfassungen miteinander vergleichen und die Unterschiede aufzählen. Aber das reibt sich doch: was ein gemeinsames Sprechen ermöglichen soll, das nötigt dann dazu, dass wir darauf achten, welcher Text nun üblich ist; ob ich sage: „erlöse uns von dem Übel“ – wie ich das einmal gelernt habe; oder: „erlöse uns von dem Bösen“ wie es in der gegenwärtigen offiziellen Fassung heißt.

 

Sicher, lässt sich dann so sagen, dass doch der Sinn der gleiche ist, ob man nun vom Übel oder vom Bösen redet. Aber es ist doch wichtig, dass wir gemeinsam beten, und dieses gemeinsamen Beten nicht dadurch gestört wird, dass einer es anders sagt als die anderen; aber dass wir das dann wissen, wie das ist gut und richtig, weil nun einmal verschiedenen Fassungen des Vaterunsers in Gebrauch waren und sind. Wichtiger ist dann freilich, dass wir miteinander auch verstehen, was wir im Vaterunser bitten, wir Christen miteinander, die sich an das halten wollen, was Jesus als das rechte Beten gelehrt hat. Natürlich kann ich das in einer Predigt nicht ausschöpfen. Ich kann nur eine Andeutung dazu machen.

 

Das Sprüchlein ist geläufig: „Not lehrt beten.“ Ich will das aber jetzt einmal herumdrehen und sage so: „Beten lehrt die Not.“ Es lehrt uns die Not, die Gott selbst mit uns hat. Vielleicht weil uns der Wortlaut des Vaterunsers so vertraut und geläufig ist, bemerken wir das gar nicht mehr richtig: Dass jedenfalls die ersten drei bitten sich an Gott wenden, um Gott selbst für Gott zu bitten. Gott – dein Name, Gottes Namen, werde geheiligt. Gott, dein Reich, Gottes Reich, komme. Gott, dein Wille, Gottes Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden. Wenn wir uns den Wortlaut des Vaterunsers so vor Augen stellen, und uns dazu das Sprüchlein vor Augen halten: „Not lehrt beten“ – dann können wir das wohl bemerken, dass da Gottes Not selbst genannt wird. Er, Gott, hat mit uns Menschen seine liebe Not. Es mag sein, dass diese Not einmal so und einmal anders aussieht. Aber es geht da um Gottes Not mit uns, im Vaterunser, mindestens in den ersten drei Bitten.

 

„Dein Name werde geheiligt“ – so heißt es da. Und wir haben es nötig, uns daran erinnern zu lassen. Im Katechismus in der Erklärung der Gebote haben wir das gelernt: „Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht vergeblich führen“ – das ist: Wir sollen Gott fürchten und lieben, dass wir bei seinem Namen nicht fluchen, schwören, zaubern, lügen oder trügen, sondern ihn in allen Nöten anrufen, beten, loben und danken. Ich will mich daran gewiss gerne halten. Aber wie steht es mit uns allen miteinander? Ist es da nicht doch besser, wenn wir Gottes Namen heraushalten, etwa aus den politischen Auseinandersetzungen. Sonst gäbe es da doch bloß Streit und Unfrieden. Nicht bloß mit den Muslimen in unserem Land, die Gott doch anders verstehen als wir. Sondern mit den immer zahlreicher werdenden Menschen, die offen sagen, dass sie nicht an Gott glauben, und die die christlichen Kirchen vielleicht gerade noch mit ihrer sozialen Arbeit gelten lassen. Gottes Name gehört nicht in die Präambel einer europäischen Verfassung – oder doch? Den Streit darüber haben wir schon anfangsweise erlebt, und es kann sein, dass er bald wieder aufflammt. Also mag es jeder mit der Heiligung des Namens Gottes, mit Gebet und Anrufung halten, wie es ihm passt, wenn es nur den öffentlichen Frieden nicht stört.

 

Das ist ein Stück der Not Gottes, an das uns das Vaterunser erinnert, der Not Gottes selbst und zugleich natürlich unserer Not, die wir miteinander das Vaterunser beten und selbstverständlich hoffen, erwarten, dass es ... nicht bloß bei den Worten bleiben wird.

 

„Dein Reich komme“ – so sprechen wir weiter. Reich – das heißt, dass Gott da das Sagen hat. Vielleicht sind es mehr Leute, als wir denken die meinen: Das wäre schon gut, wenn Gott das Sagen hätte bei uns. Wenn da nicht nur die Aussicht wäre, dass für uns irgendwann einmal, wenn wir gestorben sind, wahr wird, was wir beispielsweise in den Kindergebetlein gelernt haben: Lieber Gott mach mich fromm, dass ich in den Himmel komm. Das wäre doch wohl eine Vertröstung, mit der wir uns nicht gerne zufrieden geben wollten. Darum bitten wir, dass Gottes Reich komme, dass er das Sagen hat, bei uns und über uns. Aber das ist die Not, dass wir von diesem Reich Gottes viel zu wenig sehen, und warten und warten, und inzwischen maßen sich die Menschen an, das Sagen zu haben – Namen brauche ich jetzt gewiss nicht zu nennen. Sie werden uns ja Tag für Tag in Bildern vorgeführt, dass es da gute wäre, wenn Gottes Reich wenigsten ein bisschen kenntlicher würde unter uns, auch bei denen, die das Sagen haben – das wird sicher niemand unter uns bestreiten. Aber das ist ja gerade die Not, die uns das Gebet Jesu vor Augen stellt, Gottes Not selbst, dass wir viel zu wenig wahrnehmen von diesem Reich Gottes und davon, dass und wie es das Sagen hat. Darum ist das die Bitte, die uns Jesus ans Herz und in den Mund legt: „Dein Reich komme.“ „Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden“ – so geht es weiter. Wir glauben, dass Gottes Wille geschieht: im Himmel, dort, wohin sich unsere Hoffnung richtet. Aber ist uns mit solcher Hoffnung geholfen, sei sie auch noch so gewiss? Ist das Gottes Wille, dass er verborgen ist und verborgen bleibt? Das ist die Not, an die uns das Vaterunser erinnert: Gott selbst soll heraustreten aus seiner Verborgenheit. Wir wollen ja gewiss nicht den Himmel auf Erden haben. Wir wissen, dass wir keine Engel sind, und da ist ja gut so. Aber hier und dort, ein bisschen mehr, als wir das wahrnehmen, könnte Gott doch auch sich erkennen lassen, in dem, was geschieht. Ein bisschen mehr könnte doch unter uns von seinem Willen erkennbar werden.

 

„Not lehrt beten“ – nehme wir dieses geläufige Sprüchlein und kehren es um: „Beten lehrt uns die Not“  - wenn wir das Gebet Jesu durchgehen, und diesen seltsamen Sachverhalt bedenken, dass dieses Gebet Jesu in seinen ersten drei Bitten für Gott selbst bittet, dafür, dass sein Name geheiligt werde, dafür, dass sein Reich komme, dafür, dass ein Wille geschehe – unter uns geschehe, wie wir glauben, dass er im Himmel geschieht. Für Gott selbst bitten wir – so hat uns das Jesus Christus gelehrt. Wir bitten im Vaterunser auch für uns – ich kann und will die vier Bitten, die sich an die ersten drei anschließen, nun nicht auch noch ausführlich durchgehen. Wir kennen das Vaterunser ja, und wenn die Zeit zum Beten kommt, dann haben wir dieses Gebet, das uns Jesus selbst gelehrt hat, und können es miteinander aufsagen. Ein bloßes Geplapper, ein Gerede um des Redens willen, ist das dann sicher nicht. Auch dann nicht, wenn uns nicht jede Bitte jedes Mal mit dem gleichen Gewicht am Herzen liegt. Aber auch das gehört zum Nachdenken, dass wir wissen: die Not, um deren Abhilfe wir bitten, hat viele Gesichter. Auch dieses, auf das ich heute besonders hingewiesen habe: Es ist Gottes Not selbst, die in den ersten drei Bitten genannt wird, und die wir Gott selbst vortragen, Gottes Not, die unsere Not einschließt. Amen.