2. n. Trinitatis, 23 Juni 1963 Wolfenhausen / Nellingsheim


245,1-3 Kommt her zu mir (155)

246,1-5 Ein wahrer Glaube (99)

245,9+10 Kommt her zu mir (155)

140 Lass mich dein sein (233)


Ps 32,1-7

Mt 9,9-13


Liebe Gemeinde!

„Gehet aber hin und lernet, was das ist: Ich habe Wohlgefallen an Barmherzigkeit und nicht am Opfer“ - so hat es Jesus denen vorgehalten, die ihm verwehren wollten, wozu er doch gekommen war: Die Verlorenen zu suchen, die Gottlosen zu rufen, den Sündern den Weg zu Gott zurück zu weisen. Die damals wollten es ihm verwehren, mit guten Gründen: Es muss ja schließlich einen Unterschied geben zwischen dem Lumpen und dem anständigen Menschen. Es muss doch der, der etwas auf sich hält, auch darauf sehen, wie er sich seinen Umgang aussucht. Und erst recht wird man sich hüten müssen, Unrecht und Sünde zu billigen dadurch, dass man das den, der das Unrecht tut, gar nicht merken lässt, was er für einer ist.

Liebe Freunde! Erst wenn wir das begriffen haben, dass sie gute und durchaus ehrenwerte Gründe hatten für ihre Kritik an Jesu Verhalten, wie sie in der Frage an die Jünger Jesu zum Ausdruck kommt: „Warum isset euer Meister mit den Zöllnern und Sündern“ - erst dann werden wir erfassen, was er, Jesus, mit seinem Hinweis auf das Prophetenwort meint: „Gehet hin und lernet, was das ist: Ich habe Wohlgefallen an Barmherzigkeit und nicht am Opfer.“ Darum geht s hier, dass eine Ordnung außer Kraft gesetzt wird, die uns nicht nur selbstverständlich und für unser menschliches Zusammenleben unerlässlich scheint, sondern die auch durch Gottes Gebot und die Stimme unseres Gewissens uns garantiert erscheint: Die Ordnung, in welcher gut und böse, und die Gutes tun und die Böses tun, auseinander gehalten wird – und es heißt: Mit den Bösen will ich nichts zu tun haben, ebenso wenig wie Gott etwas mit ihnen zu tun haben will!

Gegen diesen so richtigen und so einleuchtenden Satz hat sich Jesus gestellt, als er einen Zöllner in seine Jüngerschaar berufen hat, und als er dann mit dessen Genossen das Mahl feierte.

Gehet hin und lernet, was das ist: Ich habe Wohlgefallen an Barmherzigkeit und nicht am Opfer – das hat er den Kritikern seines Verhaltens entgegen gehalten und hat sich damit für dieses Verhalten auf Gott selbst, auf Gottes Wort und Willen berufen. Doch damit nicht genug: Es geht da nicht einfach um ihn, um das, was er einmal getan hat, was aber nun vorbei ist. Es geht vielmehr um uns und um unser Tun – das wir dabei freilich gewiss nicht auf uns selbst, auf unsere Rechnung und auf unseren Namen buchen können, sondern in seinem Namen, Auftrag und Vollmacht treiben – weiter treiben sollen – wir als Christen, als seine Gemeinde, als seine Gläubigen. Uns ist das ja anbefohlen, dies zu lernen, dass Gott an Barmherzigkeit und nicht am Opfer Wohlgefallen hat; daran, dass keiner ausgeschlossen sein soll, und nicht an der Rechtschaffenheit, die es gewiss gut meint, aber die ihre Grenzen aufrichtet und den nicht gelten lassen will, der vor dem Maßstab ihrer Rechtschaffenheit nicht zu bestehen vermag.

Ich meine, wir könnten uns das am Besten am Heiligen Abendmahl klar machen – an dem Vermächtnis, dem Testament Jesu, in welchem er seinen Jüngern anbefohlen hat, was sein Tun ausmacht: Das tut zu meinen Gedächtnis. Wir nehmen's an, dieses Vermächtnis Jesu, in dem wir zum Heiligen Abendmahl gehen – alle miteinander. Das mögen wir uns jetzt einmal sehr klar machen, dieses: Alle miteinander – und eben nicht jeder für sich. „Ein Brot ist's, so sind wir Vielen ein Leib, die weil wir alle eines Brotes teilhaftig sind“ - so sagt der Apostel Paulus über das Geheimnis dieses Miteinanders derer, welche da das Vermächtnis Jesu annehmen.

Nun mag uns das freilich nicht so sehr bekümmern, dieses Miteinander, mag uns viel eher eben als eine Selbstverständlichkeit erscheinen. Aber so einfach ist es nun doch wieder nicht, wenn wir ernst nehmen, dass wir durch dieses Mahl zusammen geschlossen werden – alle miteinander! Ist es uns egal, neben wem wir zu stehen kommen bei der Austeilung des Abendmahls? Oder haben wir den oder jenen, bei dem uns das doch nicht so ganz angenehm wäre, weil wir auch sonst möglichst nichts miteinander zu tun haben wollen! Das ist eine ernsthafte Frage, liebe Freunde! Und es wäre gar nicht schlecht, wenn wir die, welche da heraus treten, uns genau ansehen würden, um still im Herzen für sie und für uns zu bitten, damit wir zusammen bleiben oder erst recht zusammen kommen können, wie das unser Herr meinte, der uns das Vermächtnis seines Mahles hinterlassen hat.

Aber wir werden ja noch ein wenig weiter ausgreifen dürfen in unseren Überlegungen: Es gehören ja zu dieser Gemeinschaft, die er, Jesus, durch sein Vermächtnis des Heiligen Abendmahles gestiftet hat, nicht nur die, die miteinander, an einem Ort und zu einer Stunde zu Heiligen Abendmahl gehen. Es gehören auch die Anderen dazu, aus anderen Zeiten, an anderen Orten. Das mag uns nicht so sehr bekümmern, solange wir die nicht näher kennen. Aber denken wir beispielsweise, wenn wir in Rottenburg auf der Straße einen Trupp von Strafgefangenen daher kommen sehen, daran, dass da der Eine oder Andere darunter ist, der nicht nur einmal vor langer Zeit bei seiner Konfirmation zum Heiligen Abendmahl gegangen ist, sondern der erst vor Kurzem – wie wir, an der Feier des Heiligen Abendmahles teilnahm. Das nur beispielsweise! Wir mögen das ruhig bedenken, dass es dies Band gibt, das uns mit Vielen zusammen schließt, die wir kennen, und die wir nicht kennen!

Freilich: Gerade da lauert nun noch einmal die Gefahr, dass wir dem Vermächtnis Jesu untreu werden, gerade indem wir es halten! Dass wir sagen: Wir feiern ja das Heilige Abendmahl miteinander - aber damit soll's dann genug sein. Wenn ich mich dazu überwinde, neben dem zu stehen – dann hab ich genug getan! Das gerade nicht – es soll uns vielmehr dies Mahl in seiner Art als Vermächtnis Jesu in heilsame Unruhe versetzen, wenn wir an die denken, welche zu diesem Mahl kommen – und ebenso an die, welche nicht kommen. Dass wir wissen: Mit dieser Feier ist jene Barmherzigkeit noch nicht abgeleistet, sondern fängt erst an. Amen.