3. Advent 13.12.1959 Wolfenhausen / Nellingsheim

 

10,1-5   Wie soll ich dich (258 o. 233)

9,1-3     Mit Ernst o Menschenkinder (237)

6,4         Macht hoch die Tür (170)

544,4     Gott lebet, sein Name (93)

Lk 13,6-9

Offb 3,7-13

 

Liebe Gemeinde,

die Johannesoffenbarung, das letzte Buch unserer Bibel, ist nicht leicht zu verstehen. Das liegt gewiss zu einem Teil daran, dass in diesem Buch mancher rätselhafte und geheimnisvolle Gedanke ausgesprochen ist. Aber noch mehr hindert uns an einem leichten und klaren Verstehen die Eigenart des Johannes, was e sagt, auch recht einfache und einleuchtende und wohlbekannte Dinge, in eine Fülle farbiger Bilder und Gleichnisse einzukleiden, dass wir uns oft lange besinnen müssen, was denn nun eigentlich mit diesem oder jenem Worte gemeint sei. Diese Eigenart begegnet uns auch bei den Sendschreiben an die sieben Gemeinden Asiens, die sonst zu den am leichtesten verständlichen Stücken dieses Buches der Geheimnisse gehören. Darum mag uns auch einiges aus dem Schreiben des Johannes an die Gemeinde in Philadelphia, das uns heute als Predigttext vorgeschrieben ist, zunächst einmal ein wenig fremdartig vorkommen. Was soll das heißen: „Siehe, ich habe vor dir gegeben eine offene Tür, und niemand kann sie zuschließen ....“? Was heißt das: „Wer überwindet, dem will ich machen zum Pfeiler in dem Tempel meines Gottes ....“ ? Was soll das sein „ .... Jerusalem, die Stadt meines Gottes, die vom Himmel hernieder kommt ....“? Wir könnten noch eine ganze Weile fort fahren, jene seltsamen Worte zu nennen, die uns zunächst gar nicht recht etwas sagen, unter denen wir uns gar nicht viel vorstellen können. Wir könnten noch eine ganze Weile fortfahren, diese dunklen Worte hin – und her zu drehen – aber was sollte das für einen Sinn haben? Es könnte uns dann höchstens wie das ja immer wieder der Fall ist, irgendwelche seltsamen Gedanken dazu einfallen, Menschengedanken, von denen wir dann meinten, wir hätten sie in diesem Buch gefunden. Nicht umsonst ist ja die Offenbarung bei fast allen Sekten das beliebteste Buch, weil sie zu den allerverschiedensten Deutungen die Möglichkeit gibt.

Seht, ich muss das wohl so ausführlich sagen, damit wir wissen, was wir tun, wenn wir uns daran machen, dieses Buch zu lesen – Nicht nur wie heute einen kleinen Abschnitt im Gottesdienst auslegen, sondern uns ganz in seine Geheimnisse vertiefen. Nur dann werden wir uns vor einer willkürlichen Auslegung und vor einem falschen Verständnis hüten können, wenn wir sehr vorsichtig vorgehen. Wenn wir von den klaren und einfachen Stellen dieses Buches aus das schwerer und dunkler und geheimnisvoller Aussehende anpacken. Was  uns an unserem Abschnitt zunächst auffällt, ist dies, dass die Christengemeinde in Philadelphia ein volles und uneingeschränktes Lob erhält, ganz im Gegensatz zu den Gemeinden, die in den anderen sechs Sendschreiben genannt sind, und die mancher harte Tadel trifft. Und gelobt wird diese Gemeinde, auch das ist ein ganz einfach zu verstehender Gedanke, weil sie treu am Wort festhält. „ .... du hast eine kleine Kraft und hast mein Wort behalten und hast meinen Namen nicht verleugnet .... weil du bewahrt hast das Wort von meiner Geduld, darum will ich auch dich bewahren vor der Stunde der Versuchung.“ Das ist es, was da gerühmt wird an diesen Christen: Sie haben das Wort bewahrt. Und es wird gar noch genauer gesagt: Sie haben das Wort von der Geduld Christi bewahrt.

Das ist nun schon ein wenig genauer und eindeutiger, wenn wir hören von jenem Wort der Geduld Christi. Was heißt denn das, dass Christus Geduld hat? Ich könnte es kurz und einfach so sagen: Dass Christus Geduld hat, das heißt, dass wir Zeit haben. Freilich, das muss ich nun auch näher begründen. Da ist von des Satans Synagoge die Rede, von denen, die sagen, sie seien Juden, und sind’s nicht, sondern lügen. Sie sind die Gegner, unter welchen die Christen in der Stadt Philadelphia zu leiden hatten. Vergessen wir das nicht, liebe Freunde! In der Welt des Heidentums damals gehörten der jüdische und der christliche Glaube damals so nahe zusammen, wie heute etwa katholisch und evangelisch, und die Christen sagten, sie seien die Anhänger des wahren, echten, jüdischen Glaubens. Warum? Weil sie das Wort von der Geduld Christi kannten. Das Wort vom Mitleid Gottes mit dieser Welt. Das Wort von seiner Barmherzigkeit, die das Gericht aufschiebt, damit die Gnade Raum bekomme! Das aber wollten die Juden nicht! Wenn der Gottgesandte kommt, der Erlöser, dann muss er mit Feuer und Schwert erscheinen. Dann muss er die Welt richten, dann muss er die Bösen strafen und die Sünde ganz und gar ausrotten. So wollten es die Juden; sie sagten: Der Satan ist Herr dieser Welt; er muss gestraft, vernichtet, erledigt werden, ehe es anders werden kann in dieser Welt. Darauf warteten sie, voll Eifer und Ungeduld. Und weil sie immerzu in ihrer Ungeduld zum Himmel blickten, von wo das Feuer auf die Gottlosen herab regnen sollte, darum sahen sie nicht den wahren Heiland, der diese Welt zurecht brachte. Sie hatten ihre Ohren geöffnet, um den Ton der himmlischen Posaunen zu hören, welche die Ankunft des Erlösers an der Spitze der himmlischen Heerscharen verkünden sollten und darum hatten sie kein Ohr für das Wort von der Geduld Christi. Des Satans Synagoge – das ist gewiss ein sehr heftiges und sehr böses Wort. Aber waren sie nicht Satansdiener, jene Leute, die da sagten: Erst dann kann Gott sein Regiment in dieser Welt antreten, wenn der Satan vernichtet ist. Gaben sie damit nicht zu, dass jetzt, wo dies noch nicht sichtbar geschehen sei, Gott im Himmel herrsche und der Satan auf Erden? Ja, räumten sie dem bösen Feind nicht viel zu viel Ehre und Macht ein, Ehre und Macht, die ihm gewiss nicht zukommen, sondern allein dem wahren Gott.

Liebe Freunde! Das lehrt uns das Wort von der Geduld Christi, dass die Welt für Gott Platz hat, so wie sie ist. Dass da nicht erst gewürgt und gemordet, gerichtet und verurteilt und hingerichtet werden muss, ehe Gott kommen kann.  Das lehrt uns das Wort von der Geduld Christi, dass Gott gekommen ist, hereingekommen in diese unsre Welt, um uns zu helfen, uns zu erlösen. Die Synagoge, die Teufelskirche, die falschen Juden, die wollten das nicht wahr haben, und haben gewiss alle die Sprüchlein dagegen hergebetet, die wir auch zur Genüge kennen. Aber in Philadelphia wussten sie: Gott hat bei uns Platz. Da ließen sie sich nicht irre machen von denen, die über die Gewalt des Satans und die Schlechtigkeit der Menschen jammerten. Sondern sie hielten sich ans Wort; und darum haben sie jene wunderbare Verheißung bekommen: „Wer überwindet, den will ich machen zum Pfeiler im Tempel meines Gottes, und er soll nicht mehr hinaus gehen, und ich will auf ihn schreiben den Namen meines Gottes und den Namen des neuen Jerusalem, die vom Himmel hernieder kommt von meinem Gott, und meinen Namen, den neuen.“ Seht, jetzt wo wir das einfach verstanden haben, wo wir begriffen haben, was gemeint ist mit dem Wort, mit dem Festhalten am Wort von der Geduld Christi, jetzt werden wir auch die Möglichkeit haben, den Sinn jener Bildworte zu verstehen. Da ist die Rede von dem neuen Jerusalem, das vom Himmel hernieder kommt! Seht, jetzt werden wir dieses neue Jerusalem nicht mehr in fernen Räumen und in noch ferneren Zeiten suchen, sondern verstehen, was damit gesagt ist: Jerusalem, das ist der Ort, den Gott sich zur Wohnung erwählt; und jenes neue Jerusalem, das ist nicht anders zu verstehen als so, dass es die Wohnung ist, die Gott sich überall in den Menschenherzen bereitet hat, überall da, wo der –Glaube wohnt, und wo man weiß, dass Gott kein ferner Gott ist, sondern dass er uns allen nahe ist. Das sollerfahren, wer überwindet – wir könnten auch einfach sagen: Wer es glaubt. Und er soll Säule sein im Tempel Gottes, ein Pfeiler, der mithilft, diesen Tempel zu tragen, und der zugleich durch diesen ganzen Bau gehalten wird. Es ist fast dasselbe gemeint mit diesem Bild vom Tempel Gottes, wie mit jenen Worten vom neuen Jerusalem. Es ist Gottes Wohnung, der Tempel, Gottes Wohnung in dieser Welt. Und wenn wir uns nun genauer vorzustellen suchen, welche Aufgabe solch ein Pfeiler im Bau hat, dann begreifen wir, wie Gewaltiges da von dem gesagt wird, der glaubt. Der Pfeiler ist da, die Decke, das Gewölbe des Baues zu stützen, damit es nicht herab stürzt. Er hält gleichsam durch seine Kraft den Raum offen, den man bewohnen kann. So ist das mit dem Glauben, liebe Freunde! Dieser Glaube, der hält in unserer Welt den Raum offen, in dem Gott seine Wohnstatt hat. Dieser Glaube, der trägt Gottes Tempel, sein Haus in dieser Welt. Wenn wir doch dies Geheimnis wirklich fassen könnten, dies Geheimnis, das Gott und den Glauben verbindet in dieser Welt. Freilich, dann wäre diese Welt die Hölle, in der nicht Gott Platz hat, sondern nur der Satan, wenn es nicht den Glauben gäbe. Den Glauben, unseren Glauben, liebe Freunde, der Gott in dieser Welt eine Wohnstatt bietet. Dann hätten sie Recht, die Juden, die Teufelskirche, mit ihrer Verurteilung dieser Welt, wenn es nicht den Glauben gäbe, den Glauben, der Gottes Wohnung baut in dieser Welt. Um diesen Glauben geht es, um das beseligende Geheimnis dieses Glaubens. Wenn wir das einmal wirklich erfasst haben, dann wird der ganze Abschnitt klar und offen vor unseren Augen liegen. Dann wissen wir, was jene Tür ist, von der es da heißt: „Siehe, ich habe vor dir gegeben eine offene Tür, und niemand kann sie zuschließen“: Nichts anderes heißt es als dies: Dass der Weg zum Glauben, zu diesem herrlichen, göttlichen Glauben, nie versperrt werden kann für jene, die treu am Wort halten. Wir erkennen, was es heißt, was da von den Juden gesagt ist „ .... siehe, ich will sie dazu bringen, dass sie kommen und niederfallen sollen zu deinen Füßen und erkennen, dass ich dich liebe.“ Dies heißt es, dass sie begreifen sollen, welche Macht der Glaube hat! Dass dieser Glaube es vermag, Gottes Liebe herab zu rufen auf diese Welt, Gottes Liebe, die sie alle erhält und trägt, die da glauben, und die nicht glauben, die Heiden, die von Gott nichts wissen, und die Juden, die in ihrer Ungeduld dem Satan mehr Ehre zukommen lassen, als er es verdient.

Ja, dies alles vermag der Glaube, weil dieser Glaube Gott eine Wohnung einräumt in dieser Welt, und damit diese Welt zum neuen Jerusalem wandelt, der Stadt Gottes, die vom Himmel herab kommt. Gebe Gott, dass wir dies Geheimnis verstehen, und dass unser Glaube Gottes Wohnstatt werde, der Welt zum Segen und uns zum Heil. „Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt.“ Amen.